Beziehungsphobie | Wenn der Beziehungsphobiker weg rennt... (© Sangoiri / stock.adobe.com)

Beziehungsphobie – Krankhafte Angst, Unwille oder Unfähigkeit?

Offensichtlich werden die Menschen im Zeitalter unverbindlicher Facebook-Beziehungen immer beziehungsunfähiger. Frauen wie Männer leiden immer häufiger an einer Beziehungsphobie. Diese könnte man als panische Angst vor Liebe, Nähe, Intimität, Verbindlichkeit, Treue und ähnlichen Werten definieren.

Beziehungsphobiker – Angst, Unwille oder Unfähigkeit?

Der Begriff „Beziehungsphobie“ stellt Fragen. Der Begriffsteil „Phobie“ wird an sich für krankhafte Angst genutzt (siehe krankhafte Ängste), nicht aber für eine Unfähigkeit oder einen Unwillen. Hat eine Beziehungsphobie tatsächlich Krankheitswert – oder ist sie vielmehr eine zunehmende soziale Bindungsunfähigkeit von Menschen? Oder ist sie gar beides?

Wagt ein Beziehungsphobiker keine Beziehung, weil er panische Angst vor Intimität hat – oder möchte die Facebook-Generation lieber Oberflächlichkeit und Unverbindlichkeit in Beziehungen etablieren? Der Werteverlust schreitet in den Augen vieler Menschen fort. Doch möglicherweise werden nur Dinge aussortiert, die in Zukunft nicht mehr nützlich erscheinen. Möglicherweise ist ein Leben ohne Liebe und familiäre Nähe unkomplizierter. Wir sollten uns der Frage stellen, ob hinter der Bindungsangst (siehe auch Bindungsstörung bei Erwachsenen) mehr steckt als nur Oberflächlichkeit.

Auch wenn der Mensch ein soziales Wesen ist, könnte die Partnersuche zukünftig anders aussehen. Silikonpuppen und Sexroboter kommen längst als unkomplizierte Sexualpartner infrage. Virtuelle Realität ersetzt echte Nähe. Raffinierte Sexspielzeuge vermitteln Lustgewinne. Liebesphobiker können sich auf andere Weise behelfen, um sexuelle Erlebnisse zu haben. Sie müssen dafür nicht mehr eine Dauerbeziehung oder Ehe wagen. Die Ehe als Versorgungsgemeinschaft könnte für junge Leute ausgedient haben. Früher galten nur Männer als typische Kandidaten für Bindungsangst. Heute haben die Frauen aufgeholt. Auch eine Frau will heute Karriere machen, reisen und Spaß haben, bevor sie sich für längere Zeit an einen festen Partner bindet.

Neue Beziehungsmodelle machen die Runde: Co-Parenting ohne Sex, lesbische Paare mit einem biologischen Vater als Drittem im Bunde, schwule Väter mit adoptierten Kindern oder die In Vitro-Zeugung schaffen neue Möglichkeiten, das Leben jenseits überkommener Beziehungsmuster zu gestalten. Unser Verhalten ändert sich, unsere Bedürfnisse auch. Gesellschaftliche Veränderungen spiegeln sich auch auf der Beziehungsebene.

Hohe Erwartungen als Beziehungskiller?

Ein Blick auf die romantischen Erwartungen von Frauen gegenüber der Männerwelt lässt erahnen, dass sich hier ein grundlegender Unterschied zu den Träumen der Männer offenbart.

  • Viele Männer träumen davon, täglich mehrere Stellungen des Kamasutras durchzudeklinieren. Sie wollen Karriere machen und schnelle Autos fahren statt einen Familien-Van zu kaufen. Sie möchten beliebig viele „Tussen“ anbaggern können, ohne dass Eifersucht ins Spiel kommt.
  • Frauen träumen von einem Kind, Geborgenheit, Verlässlichkeit und Treue.

Die Realitäten spiegeln sich in der wachsenden Zahl an Ausreden-Coaches, Seitensprungportalen, Dating-Apps und Sex-Shops. Das Problem scheint etwas größer zu sein, um als ein individuelles Defizit deklariert zu werden. Früher gab es nur wenige Beziehungsphobiker. Heute scheint manchem eine dauerhafte Liebesbeziehung fast schon spießig. Man spricht bereits von Teilzeitpartnern, Lebensabschnittspartner oder „LAG“ (Lebensabschnittsgefährte).

Viele Männer sagen, nach spätestens drei Jahren sei der Reiz einer neuen Beziehung vorbei. Vielleicht blieben nur unrealistische Erwartungen unerfüllt.

Die Beziehungsphobie als krankhafte Bindungsangst

Wenden wir uns nun der krankhaften Beziehungsflucht zu. Beziehungsratgeber über Probleme in Partnerbeziehungen gibt es wie Sand am Meer. Doch wer liest sie? Als Minimum ratlose Individuen, die mit einer anderen Person und ihrer Beziehungsphobie anbandeln. Solche Menschen verlassen den Partner, bevor es ernst wird.

Es geht vielen Liebespartnern noch um Sex, nicht um Liebe. Und schon gar nicht um Vertrauen, Rücksichtnahme, Familiengründung oder Wertschätzung. Sobald solche Dinge ins Spiel kommen, erleben Personen mit krankhafter Bindungsangst körperliche Symptome wie Panikattacken, Schweißausbrüche, Alpträume und Herzrasen. Männer entdecken plötzlich, dass eine Trennung per SMS sie vieler Probleme entledigt. Die oberflächliche Liebelei soll sich auf keinen Fall zu einer verbindlichen Partnerbeziehung entwickeln.

Gründe, sich vor der Verantwortung und den Ansprüchen des anderen zu fürchten, finden sich meist genug (vgl. auch Angst vor Verantwortung). Die Trennung wird mit dem Besitzanspruch oder der Eifersucht der Partnerin begründet. Oder gar nicht. Einfach aus dem Lebensumfeld des anderen zu verschwinden – auch als Ghosting bezeichnet – ist in.

Buch zum Thema Beziehungsphobie: "Vom Jein zum Ja" (Amazon)
Buch zum Thema Beziehungsphobie: „Vom Jein zum Ja“ (Amazon)

Eine krankhafte Beziehungsphobie ist aus Sicht von Psychologen bereits in der Kindheit entstanden. Manche Psychologen schätzen, dass etwa 20-30 Prozent der Deutschen Beziehungsphobiker sind. Diese begeben sich zwar auf Partnersuche, stellen sich aber dem Problem der Beziehungsangst nie. Es ist ihnen oft nicht einmal bewusst, welche vorgeschobenen Gründe sie für den Schlussstrich heranziehen. Minderwertigkeitsgefühle, frühkindliche Verletzungen oder die dramatische Scheidung der Eltern können der Psychologie zufolge einen Liebesphobiker zeitigen. Diesem mangelt es an Vertrauen in die Liebe und sich selbst.

Emotionell vernachlässigte oder übermäßig behütete Kinder fürchten sich demnach öfter als andere vor einem Leben in Intimität. Sie überwinden die emotionellen Traumata der Kindheit nicht.Da nützt auch der beste Beziehungsratgeber nichts, denn unbewusste Gefühle ändern sich nicht durch das Lesen eines Buches. Die Folgen der Beziehungsphobie können nur dann behoben werden, wenn der Betroffene an seiner Beziehungsunfähigkeit leidet und sein bisheriges Verhalten infrage stellt. Ohne die Ursachen der Beziehungsangst aufzuarbeiten, kann keine Veränderung der inneren Haltung eingeleitet werden.

Was können die Betroffenen gegen ihre Bindungsängste unternehmen?

Beziehungsphobiker und ihre Opfer müssen sich dem, was sie miteinander erleben, stellen. Sie müssen sich und ihren Partner in seinen elementaren Bedürfnissen verstehen lernen. Jeder Mensch ist liebenswert. Jeder kann lernen, die Liebesbezeugungen eines anderen vertrauensvoll anzunehmen und sich selbst ehrliche Gefühle zu erlauben. Doch eine krankhafte Beziehungsphobie wird ohne psychologische Hilfe nicht aufzulösen sein. Dieses Problem erfordert eine längere Therapie mit oder ohne den derzeitigen Liebespartner.

Bevor ein Liebesphobiker zur Trennung schreitet, könnte er sein eigenes Verhalten und dessen Ursachen überdenken. Mit einer verständnisvollen Partnerin könnte mancher Mann doch noch zum Ehemann taugen; vorausgesetzt, er stellt sich seinen – als unmännlich wahrgenommenen – Ängsten und den immer wieder daraus erwachsenen Folgen. Der Liebesphobiker muss neues Vertrauen in Beziehungsdauer und -intensität entwickeln. Er muss lernen, Gefühle zulassen, Ängste und emotionelle Krisen zu überwinden. Wer die Ursachen und Gründe für sein abweisendes Verhalten erkennt, kann ihnen zukünftig besser begegnen. Ob das genügt, ist die Frage.

Doch Gefühle zu haben, trotz Angst vor Nähe (oder gar Androphobie) eben diese Nähe zuzulassen und ernsthafte Bindungen einzugehen, bedeutet oft auch Schmerz, Konflikte und Liebeskummer zu erleben. Es bedeutet, irgendwann im Leben um jemanden zu trauern oder eine Trennung zu überstehen (siehe Trennungsschmerz überwinden). Eine Liebespartnerschaft einzugehen, beinhaltet auch gewisse Risiken. Der Liebespartner kann einen betrügen oder hintergehen. Verrat ist ebenso möglich wie eine unterschiedliche Entwicklung mit all ihren Folgen. Es gibt in der Partnerschaft keine Garantie für dauerhafte Konfliktfreiheit oder ewige Treue. Partnerschaften sind freiwillig, in jedem Moment. Diesem Wissen muss jeder sich öffnen, um eine bedeutsame und wachstumsorientierte Bindung zu einem anderen Menschen erleben zu können, ohne Verlustängste in der Beziehung, die eben diese töten.

Buch für Beziehungsphobiker und deren Angehörige bzw. (Möchtegern-)Partner: "Nah und doch so fern" (Amazon)
Buch für Beziehungsphobiker und deren Angehörige bzw. (Möchtegern-)Partner: „Nah und doch so fern“ (Amazon)

Quellen und weiterführende Ressourcen für und rund um Beziehungsphobiker

  • https://partnersuche.cc/beziehungsangst/
  • https://www.techbook.de/apps/social-media/darum-zerstoeren-facebook-und-co-beziehungen
  • https://www.brittahochheimer.de/blog/grosse-erwartungen-sind-beziehungskiller-no-1/
  • https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/jugendliche-ueber-facebook-freundschaft-und-beziehungen-a-821593.html
  • https://sandrareinheimer.com/2014/10/13/bitte-keine-liebe-lebendfalle-beziehungsphobie/
  • https://www.gesundheit-im-netz.net/liebe-nein-danke-was-tun-gegen-bindungsangst/
  • https://simplyfeelit.de/wie-du-bindungsaengste-bewaeltigen-kannst/
  • https://herz-mut.com/hohe-erwartungen-beziehungskiller/
  • https://www.fitforfun.de/sex-soul/partnerschaft/bindungsangst-erste-hilfe-fuer-bindungsphobiker_aid_8825.html
  • https://www.psychic.de/bindungsangst-beziehungsangst.php
  • https://www.rp-online.de/leben/gesundheit/psychologie/woran-sie-einen-beziehungsphobiker-erkennen-aid-1.4478551
  • https://www.angst-panik-hilfe.de/bindungsangst.html
  • https://www.bild.de/ratgeber/partnerschaft/partnerschaft/liebes-phobie-35263136.bild.html

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