Ursachen, Auswirkungen und Therapie von Minderwertigkeitsproblematiken
Minderwertigkeitsgefühle beschreiben in der Psychologie die Sorge, nicht gut genug zu sein, nicht genügen zu können, anderen nicht zu gefallen. Praktisch jeder Mensch kennt Phasen in seinem Leben, in denen solche Minderwertigkeitskomplexe eine Rolle spielen. Minderwertigkeitsgefühle treten bei Frauen und bei Männern gleichsam auf, auch Kinder können betroffen sein. Sofern solche Gefühle nicht überhand nehmen und entsprechende Angst nicht das Leben bestimmt, besteht kein Grund zur Sorge. Problematisch wird es aber, wenn ein Minderwertigkeitsgefühl den Alltag bestimmt. Dann ist es höchste Zeit, sich über das Zustandekommen dieser Gefühle bewusst zu werden und gegebenenfalls auch professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Was ist ein Minderwertigkeitskomplex?
Die Definition des Begriffs Minderwertigkeitsgefühle steckt schon im Wort selbst: Es ist das Denken und die bewusste oder unbewusste Angst, im Vergleich zu anderen minderwertig, weniger wert zu sein. Ein Minderwertigkeitsgefühl kann sich dabei auf ganz unterschiedliche Bereiche des Lebens beziehen. Manche Menschen leiden unter Gedanken, dass ihr Aussehen im Vergleich zu anderen Leuten zu schlecht sei, sie fühlen sich deswegen permanent nicht wohl. Andere wiederum leiden in Bezug auf ihr berufliches Leben an Gefühlen von Minderwertigkeit (vgl. mangelndes Selbstwertgefühl). Sie glauben, Beruf, Einkommen oder generell die individuelle Situation des Arbeitslebens bei ihnen persönlich sei verglichen mit anderen peinlich. Minderwertigkeitskomplexe können sich schließlich auch auf die gesamte Persönlichkeit beziehen. Manche Betroffene halten sich selbst in allen Bereichen, die einen Menschen ausmachen, für minderwertig.
Minderwertigkeitskomplexe: Folgen und Auswirkungen
Die Auswirkungen von Minderwertigkeitsgefühlen können gravierend sein. Zwar kennen einerseits viele Menschen Phasen oder einzelne Bereiche ihres Lebens, in denen solche Gedanken aufkommen. Sofern dies aber nicht den Alltag oder viele Bereiche des Lebens bestimmt, kann man solche Gefühle auch überwinden, ohne dass sich weitere Symptome einstellen müssen. Andererseits scheint es aber immer mehr Menschen zu geben, deren gesamtes Leben von einem Minderwertigkeitskomplex überschattet ist. Hier sind die psychischen Folgen gravierend. Das gesamte Denken wird dann irgendwann von der Angst bestimmt, nicht gut genug zu sein, keine individuellen Stärken und Erfolge zu haben, immer auf der Verliererseite zu stehen. Die logische Folge ist bei vielen Betroffenen der soziale Rückzug.
Wer ständig Angst hat, zu versagen (vgl. Versagensängste) oder bei anderen schlecht auszusehen, meidet irgendwann soziale Kontakte (siehe auch unseren Artikel über die fatalen Folgen von Vermeidungsverhalten). Ein Leben in Einsamkeit bis hin zu Depressionen und Suizidalität kann die Folge sein. Gerade bei Jugendlichen in der Pubertät oder bei Menschen, die keinen Ansprechpartner haben und nicht wissen, wo und wie Hilfe gesucht werden kann, kann die soziale Isolation als bedrohlich und ausweglos empfunden werden; es wurden Fälle berichtet, in denen sich Jugendliche die Pulsadern aufschneiden wollten, „nur“ weil sie sich so minderwertig fühlten.
Es gibt aber auch Betroffene von Minderwertigkeitskomplexen, die sich nicht zurückziehen, sondern versuchen, etwas darzustellen, was sie nicht sind. Hinter Menschen, die extrem offensiv agieren, sich geradezu krampfhaft immer in den Mittelpunkt stellen wollen und immer übertrieben bemüht scheinen, sich selbst zu inszenieren, können starke Minderwertigkeitsgefühle stehen. Wer sich selbst nicht akzeptiert und Angst hat, nicht gut genug zu sein, kann dies auch zu kompensieren versuchen, indem krampfhaft nach Anerkennung anderer gesucht wird.
Was sind die Ursachen von Minderwertigkeitsgefühlen?
Minderwertigkeitsgefühle können Charaktersache sein. Manche Menschen neigen bedingt durch ihr Naturell dazu, sich immer in negativer Art und Weise mit anderen zu vergleichen. So, wie für manche Menschen das Glas immer halb voll ist, ist es für Betroffene von Minderwertigkeitskomplexen bezogen auf ihre persönliche Situation immer halb leer. Auch persönliche Eigenschaften wie ein übertriebener Perfektionismus (siehe Perfektionist), der im Alltag dann irgendwann nicht mehr erreicht werden kann, können die Grundlage für Minderwertigkeitsgefühle sein.
Oft ist ein Minderwertigkeitsgefühl aber auch ein Resultat einer problematischen Kindheit. Wer immer das Gefühl hatte oder eindeutig gesagt bekommen hat, nicht gut genug zu sein, den familiären Ansprüchen nicht genügen zu können, entwickelt irgendwann das Denken, nichts wert zu sein. Die Psyche in der Kindheit sollte im Idealfall durch die Eltern positiv gestärkt werden. Jedes Kind soll so angenommen werden, wie es ist. Dies ist die beste Voraussetzung für positives Denken und ein realistisches Selbstbild, was persönliche Stärken wie Schwächen wohlwollend integriert. Erfährt man aber in der Kindheit immer wieder, Anforderungen nicht erfüllen zu können, sinkt das Gefühl für den eigenen Wert rapide ab. Erwachsene, die an Minderwertigkeitskomplexen leiden, die aus ihrer Kindheit resultieren, haben oft ein völlig unrealistisch negatives Selbstbild und müssen erst mühsam lernen, sich selbst zu akzeptieren.
Wie können Minderwertigkeitskomplexe überwunden werden?
Nicht jedes Gefühl von Minderwertigkeit bedarf der professionellen Hilfe von Ärzten bzw. Psychologen (Psychotherapeuten). Auch ein gutes Gespräch mit Freunden kann helfen, Gefühle einzuordnen und sich selbst realistisch einzuschätzen. Gerade, wenn Gefühle von Minderwertigkeit eher partiell und nicht allumfassend nicht, können Betroffene auch selbst erlernen, dass jeder Mensch es Wert ist, um seiner selbst willen geschätzt zu werden und dass dazu Stärken wie Schwächen gehören.
Wenn ein Minderwertigkeitskomplex jedoch auf jahrelangen negativen Prägungen durch die eigene Jugend oder unglückliche Beziehungen beruht, ist es oft schwierig, ohne Hilfe durch Ärzte die Psyche wieder zu stabilisieren. Eine Psychotherapie kann jedoch helfen, Ursachen zu erkennen und die Symptome zu überwinden.
Wie bei praktisch jeder Psychotherapie bedarf es daut zunächst einer individuellen Krankheitseinsicht. Nur, wer erkennt, dass es Hilfe wegen seiner Symptome braucht und wer diese Hilfe auch annehmen möchte, kann in einer Therapie lernen, das Leben wieder in den Griff zu bekommen und die Komplexe zu überwinden (siehe auch klientenzentrierte Psychotherapie, kognitive Umstrukturierung, Verhaltenstherapie, psychoanalytische Therapie).
Manchmal sind Minderwertigkeitsgefühle so extrem und das Selbstbild so zerstört, dass es zunächst Medikamente braucht, um die Psyche zu stabilisieren und eine Einsicht auf Patientensicht zu erlangen. Medikamente dürften dabei nur von einem Arzt verordnet werden und eignen sich in der Regel nicht für eine Langzeiteinnahme. Droht gar eine Suizidalität wegen erheblicher Minderwertigkeitskomplexe, können Medikamente (Psychopharmaka Liste) dringend notwendig sein.
Die Psychologie weiß, dass das Bekämpfen der negativen Gefühle der Minderwertigkeit (vgl. negatives Denken) durchaus erfolgreich sein kann, wenn Patient und Therapeut effektiv zusammenarbeiten.
Zu Beginn einer jeden Therapie sollte ein seriöser Test stehen, der das Ausmaß der Komplexe einordnen kann. Mithilfe des Tests kann die Therapie dann weitergeplant werden. So kann es gelingen zu erlernen, Gefühle in ihrem Ursprung einzuordnen, Symptome zu bekämpfen und Mithilfe eines Arztes zu lernen, wieder einen glücklichen Alltag zu leben.
Tipps für einen glücklichen Alltag mit möglichst wenig Minderwertigkeitsgefühl
- Es lohnt sich immer, an einem realistischen Selbstbild zu arbeiten. Betroffene von Komplexen glauben häufig nicht zu genügen, viel schlechter als andere zu sein. Realistisch betrachtet trifft kaum etwas davon zu. Da aber das negative Selbstbild zu den Ursachen von Minderwertigkeitsgefühlen gehört, sind Betroffene gut beraten, offen zu sein für Gespräche, die ihnen signalisieren, dass sie in ihrem Tun akzeptiert werden und sich nicht hinter anderen verstecken müssen. Wenn Betroffene selbst spüren, dass sie Lob und Anerkennung nicht mehr annehmen können, ist dies Grund genug, einen Arzt aufzusuchen.
- Realistische Erwartungen an sich selbst stellen: Perfektionismus ist oftmals der Einstieg in einen Alltag voller Komplexe. Es lohnt sich, die eigenen Motive zu hinterfragen. Wem möchte man gefallen? Muss das Haus wirklich jeden Tag geputzt werden, muss man überall der Beste sein? Sind das wirklich die eigenen Ansprüche oder jagt man möglicherweise den Ideen anderer hinterher? An diesem Punkt offenbaren sich auch oftmals ungelöste Konflikte aus der Kindheit, die aber mithilfe einer Therapie meist gut bearbeitet werden können.
- Gut zu sich selbst sein: Wer an Komplexen leidet, gibt sich oftmals selbst immer die Schuld für vermeintliches Versagen und schlechtes Abschneiden im Vergleich zu anderen. Es ist wichtig, sich selbst etwas Gutes zu tun, gut mit dem eigenen Körper umzugehen. Schon kleine Veränderungen im Alltag können dabei große Wirkungen erzielen, wie Tests erwiesen haben. Ein ruhiges Bad am Abend, das Körper und Geist zur Ruhe kommen lässt, das bewusste Vermeiden von Menschen, die einem nicht gut tun und bewusst mehr Zeit für sich selbst nehmen können helfen, sich selbst wieder positiver wahrzunehmen. Kleine Rituale können neue Kraft geben, den Kampf gegen die Minderwertigkeitsgefühle anzugehen.