Auch Kinder und Jugendliche bis zu achtzehn – bzw. je nach Einrichtung bis zu 21 Jahren – haben seelische Befindlichkeitsstörungen. Erschreckend viele Kinder und Heranwachsende tragen unlösbare innere Konflikte mit sich aus. Immer mehr Jugendliche leiden unter psychischen Störungen oder Süchten wie der Computer- oder Spielsucht.
In der Jugendpsychiatrie werden sowohl psychosomatische und psychische Störungen, als auch neurologische, entwicklungsbedingte oder soziale Störungen thematisiert und behandelt. Zum Beispiel kann ein Kind durch eine manisch-depressive Mutter oder die schmutzige Scheidung der Eltern in eine seelische Krise geraten und Auffälligkeiten zeigen. Es kann zu Aggressionen und Autoaggression neigen, Angststörungen oder einen Tick entwickeln.
Wenn etwas im Leben von Kindern „verrückt“ ist
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie klingt für gesunde Menschen nach einem Schreckgespenst. Doch tatsächlich ist sie dazu da, den Kinder und Jugendlichen in seelischen Ausnahmesituationen und Krisen wieder auf die Beine zu helfen. Die meisten jungen Menschen werden mindesten einmal in ihrem Leben „verrückt“. Verrückt meint hier allerdings eine schwere Erschütterung des kindlichen Weltbildes, in dem innere Werte sich verrückt haben. Das kann ein Kind oder einen Jugendlichen komplett aus der Bahn werfen. Kinder und Jugendliche haben noch nicht die Mittel in der Hand, sich selbst zu helfen. Sie lernen in der Psychotherapie, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten (-> Psychotherapeutenverzeichnis). Die Ärzte und Therapeuten hören ihnen zu. Sie behandeln ihre jugendlichen Patienten gegebenenfalls auch medikamentös. Vor allem aber schaffen sie einen sicheren Raum des Vertrauens, in dem die Jugendlichen sich gegenüber einer neutralen Person öffnen und anvertrauen können.
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Konflikte sind ein Teil des Lebens
Konflikte und seelische Probleme müssen nicht immer gleich in die Psychiatrie führen. In fast allen größeren Ortschaften sind heute Familienberatungsstellen zu finden, die im Fall einer Scheidung, bei innerfamiliären Problemen oder Konflikten im schulischen Umfeld beratend tätig werden. Die Beratung bedarf eines Termins. Sie ist aber häufig kostenfrei in Anspruch zu nehmen. Alles, was mit den geschulten Familienberatern besprochen wird, unterliegt der Schweigepflicht. Anlässe für die Nutzung solcher Beratungsstellen können
- schwere Schlafstörungen bei Jugendlichen
- Essstörungen oder Angststörungen bei Kindern
- familiäre Konflikte
- belastende kindliche Ängste
- Trennungsprobleme oder Scheidungen
- Verhaltensstörungen
- oder Entwicklungsverzögerungen
Die Jugendlichen können auch von sich aus solche Beratungsstellen aufsuchen, wenn sie mit ihrem Leben nicht mehr alleine zurechtkommen. Verhaltensstörungen, Aggressionen und Ängste weisen darauf hin, dass die Teens mit bestimmten Belastungen nicht angemessen umgehen können. Problematisch ist im Familienkreise, dass familiäre Konflikte lange schwelen können, ohne aufgearbeitet zu werden. Latente Eheprobleme, finanzielle Sorgen oder die Überforderung eines Elternteils lasten im Raum, ohne erklärt oder auch nur zugegeben zu werden.
Die angeblich „heile Welt“ der Kinder und Jugendlichen hat oft spürbare Risse. Ob es nun kulturelle, religiöse oder wirtschaftliche Probleme sind, die im Raum stehen: Kinder und Jugendliche fühlen sich oft schuldig und verantwortlich, wenn im Familienkontext Probleme über längere Zeit nicht gelöst werden. Ob sie ihre Sorgen und Nöte formulieren können oder zugeben, ist aber fraglich. Oftmals werden die seelischen Probleme der Kinder erst sichtbar, wenn diese ernsthafte Störungen im Verhalten entwickeln. Manche Kinder ritzen sich. Andere entwickeln einen Tick oder eine Magersucht. Manche lecken sich die Lippen wund oder stottern plötzlich (vgl. auch Redeängste). Hochgradig aggressive, in sich gekehrte, verzweifelt oder deprimiert wirkende Kinder und Jugendliche müssten irgendwann auffallen. Sie senden deutliche Signale an ihr Umfeld, die besagen, dass sie Hilfe brauchen. Ob das Umfeld reagiert, ist ungewiss.
Familienberatungsstellen können hier hilfreich eingreifen. Sie haben aber auch die Aufgabe, im Gespräch die Spreu vom Weizen zu trennen. Die Berater müssen erkennen, wann sie helfen können – oder wann eine Überweisung zu einer Psychotherapie Behandlung oder ein Aufenthalt in der Jugendpsychiatrie die richtige Wahl wären. Dem orientierenden Erstgespräch folgt daher meistens eine umfangreiche Bestandsaufnahme oder Diagnostik. Erst dann wird entschieden, wie in einem Problemfall weiter zu verfahren ist.
Wann gehört ein Kind in die Jugendpsychiatrie?
Pubertäre Auffälligkeiten im Verhalten Jugendlicher geben sich oftmals von alleine. Sie können jedoch auch Warnzeichen darstellen. Wenn ein Kind oder ein Jugendlicher offensichtlich nicht mehr alleine mit einem Konflikt oder seelischen Problemen umgehen können, sollte fachkundige Hilfe eingeschaltet werden. Die Jugendpsychiatrie ist der richtige Ort, wenn
- emotionale Störungen (siehe auch emotionale Störungen des Kindesalters)
- Tick-Störungen
- autoaggressives Verhalten
- schwere Entwicklungsstörungen
- Störungen wie ADS oder ADHS
- Anzeichen psychischer Erkrankungen
- Störungen des Sozialverhaltens
- Bindungsstörungen
- oder andere Verhaltensstörungen bemerkt werden.
Mit anderen Worten, ein Kind oder Jugendlicher mit schulischen Leistungsstörungen, Psychosen, Autismus, Bewegungsstörungen, akuten Belastungsstörungen oder Essstörungen gehört gleichermaßen in therapeutische Behandlung (vgl. u.a. auch: Mutismus bei Kindern). Kinder sind nicht in der Lage, die Ursache ihrer Probleme zu erkennen und diese zu beheben. Wenn familiäre Konflikte sie schwer belasten, benötigen sie Hilfe und Unterstützung. Auch Kinder können am Leben verzweifeln, sich an der Trennung der Eltern schuldig fühlen oder Selbstmordabsichten hegen. Sie können von Ängsten und Schuldgefühlen überrollt werden und keine Hilfe erfahren.
Die Horror-Stories und Mythen, die über die Behandlung von Kindern in der Psychiatrie kursieren, bilden meist nicht die Realität heutiger Tage ab. Fakt ist, dass fast jedes fünfte Kind vor dem 21. Lebensjahr psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe benötigt. Ob es diese erhält, ist allerdings eine andere Frage. Oftmals erkennen Eltern und Lehrer die Behandlungsbedürftigkeit nicht – oder sie kehren Probleme, die diese Störungen auslösen, unter den Teppich. In den Augen vieler Eltern haben Kinder zu funktionieren. Tun sie dies nicht, bringt das in der Augen der Eltern Schande über die Familie. Es riecht nach elterlichem Versagen. Es ist jedoch einzig und alleine eine Schande, sein Kind leiden zu sehen und nicht helfen zu wollen.
Die Behandlung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die Behandlung in der Jugendpsychiatrie kann sowohl stationär als auch ambulant erfolgen. Bei der Behandlung wird ein ganzheitlicher Ansatz verfolgt. Nicht nur die Sicht des Kindes steht im Mittelpunkt, sondern auch sein Umfeld, seine Beziehungen oder sein Elternhaus werden in die therapeutische Arbeit einbezogen. Folglich werden neben der Psychotherapie auch Medikamentengaben, Einzelgespräche oder Familiensitzungen, Verhaltenstherapie, Musik- oder Sporttherapie und Bewegungstherapie in den Therapieplan eingebunden. Welche therapeutischen Komponenten dem Kind am meisten nützen, darüber entscheiden die Störung bzw. das Krankheitsbild. Bei Angstproblematiken müssen die Therapeuten ein anderes Konzept entwerfen, als bei Störungen aus dem Bereich der Psychosomatik. Auch den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen wird nach Möglichkeit Rechnung getragen.
Welche Klinik bzw. welche Therapeuten sind geeignet?
Die Konzepte der psychiatrischen Kliniken können sich unterscheiden. Daher ist die Wahl der richtigen Klinik entscheidend. Manche Kliniken bieten ein integratives Gesamtkonzept, das aus Psychotherapie, Verhaltenstherapie, ergänzt durch Traumatherapie und Spieltherapie sowie Strategien der Anthroposophischen Medizin zusammengefügt wird. Hier werden die Jugendlichen beispielsweise mit Heileurythmie oder rhythmischer Massage behandelt. In anderen Kliniken steht das Therapiekonzept eher der klassischen Kinder- und Jugendpsychiatrie nahe.
Nicht alle klinischen Einrichtungen haben eine Abteilung für Psychosomatik (vgl. psychosomatische Kliniken) oder behandeln Ess- oder Angststörungen. Auch die Problembereiche Computer- oder Handysucht oder Spielsucht müssen eine spezielle Behandlung erfahren. Hier kann der Fachbereich Akutpsychosomatik für Jugendliche die Versorgung übernehmen. Die Erkenntnis, dass viele psychische Störungen erwachsener Menschen bereits im jugendlichen Alter entstehen, hat in diesem Kontext eine besondere Relevanz. Daher ist es umso weniger verständlich, dass ungefähr die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen, die psychische Auffälligkeiten zeigen, nie eine psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung erhalten. Psychische Probleme im Erwachsenenalter sind damit vorprogrammiert.
Die Psychosomatik und die Akutpsychosomatik können eine sinnvolle Lösung darstellen, wenn die Kinder nicht in die Psychiatrie überstellt werden sollen. Die Begegnung mit Jugendlichen, die in einer jugendpsychiatrischen Klinik aufgenommen wurden, und an Psychosen oder Schizophrenie leiden, kann für Kinder mit psychosomatischen Erkrankungsbildern (vgl. psychosomatische Erkrankungen) traumatisch sein. Solche Belastungen werden durch eine Behandlung in der Akutpsychosomatik vermieden. Hier geht es vorrangig um eine Psychotherapie, nicht aber um die umfassende Behandlung schwerer psychischer Erkrankungen.
Auch eine Suchtproblematik Heranwachsender stellt ein besonders Problem in diesem Umfeld dar. Die therapeutische Konzepte müssen auch berücksichtigen, dass einige der jugendlichen Suchtkranken straffällig geworden sind. Das Spektrum der Behandlungseinrichtungen im Feld der Jugendpsychiatrie ist entsprechend breit. Wer sein Kind nicht in eine psychiatrische Klinik einweisen lassen möchte, sucht sich am besten einen erfahrenen Kinder- und Jugendpsychiater in der Nähe seines Wohnortes; siehe auch Angstzustände, Phobien und Zwänge bei Kindern behandeln.
Weitere Literatur zum Thema:
Quellen und weiterführende Ressourcen:
- de.wikipedia.org/wiki/Kinder-_und_Jugendpsychiatrie_und_-psychotherapie
- fairmedia.seelischegesundheit.net/dossiers/psychische-erkrankungen-bei-jugendlichen/psychische-stoerungen-im-jugendalter
- neurologen-und-psychiater-im-netz.org/kinder-jugend-psychiatrie/warnzeichen/
- spektrum.de/news/warum-sind-jugendliche-so-anfaellig-fuer-psychische-erkrankungen/1359532
- achtung-kinderseele.org/html/themen/psychische%20stoerungen.html
- bke.de/virtual/ratsuchende/elternberatung_jugendberatung.html?SID=113-2EC-1F4-324
- msdmanuals.com/de-de/heim/gesundheitsprobleme-von-kindern/psychische-erkrankungen-bei-kindern-und-jugendlichen/%C3%BCbersicht-%C3%BCber-psychische-erkrankungen-bei-kindern
- caritas-sozialwerk.de/hilfe-und-beratung/erziehungshilfen/erziehungshilfen
- klinik-am-hahnberg.de/Home/Themen/Medizin/Akutpsychosomatik-Jugendliche/Gesundheitslexikon/K/Kinder-und-Jugendpsychiatrie.aspx
- zeit.de/zeit-magazin/2015/50/jugendpsychiatrie-eberswalde-essstoerung-depression-selbstverletzung-behandlung
- kjp-dresden.de/de/basic-page/mythen-und-vorurteile
- klinik-am-hahnberg.de/Home/Themen/Medizin/Akutpsychosomatik-Jugendliche/Uebersicht.aspx
- bravo.de/dr-sommer/kinder-und-jugendpsychiatrie-wer-dort-hilfe-bekommt-350350.html
- gemeinschaftskrankenhaus.de/fachabteilungen/kinder.jugendpsychiatrie/therapiekonzept/