Gute Frage: Wie verhalten sich eigentlich Furcht und Angst zueinander?
- Sind beide per Definition Synonyme für dasselbe Gefühl?
- Ist ein furchtsamer Mensch dasselbe wie ein Angsthase?
- Entstammt ein Furchtgefühl immer einer Furchtkonditionierung?
- Hat ein Mensch, der furchtlos wirkt, niemals Angst?
Solche Fragen sollen hier geklärt werden. Zunächst soll eine Definition von Furcht zeigen, wo die Unterschiede liegen.
- Die Wikipedia sieht Furcht als Angst vor einer Bedrohung – sei sie real oder irreal.
- Manche Menschen halten Furcht für konkreter als Angst. Angstgefühle seien diffuser und beziehen sich nicht auf konkrete Gegenstände oder Situationen. Tatsächlich implizieren Begriffe wie „Gottesfurcht“ oder „Ehrfurcht“ eine gehörige Portion Respekt.
Die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht
Auch wenn die meisten Menschen Furcht und Angst synonym verwenden, gibt es Unterschiede zwischen beiden.
- Im Alltag benutzen wir meist den Begriff „Angst“ als begriffliche Verallgemeinerung.
- Ein Furchtgefühl immer von der Tatsache aus, dass etwas Konkretes eine Bedrohung darstellt. Von Angsterkrankungen wissen wir, dass solche Ängste eher ein unbestimmtes Gefühl einer Bedrohung erzeugen, aber nicht immer konkret benannt werden können. Angst weitet sich sozusagen vom konkreten Bedrohungsobjekt ins Allgemeine aus. Es ist nachvollziehbar, dass die Übergänge zwischen Furcht und Angst fließend sind. Die meisten Menschen können schon deswegen nur schwer eines vom anderen unterscheiden.
Eine Phobie scheint deutlich konkreter zu sein. Sie bezieht sich auf ein bestimmtes Objekt oder konkrete Situationen. Diese stellen aber oft keine realen Bedrohungen dar. Zudem bezieht sich die Phobie auf ALLE entsprechenden Objekte oder Situationen. Grundlage einer Angst vor Spinnen, weiten Räumen oder engen Fahrstühlen sind irrationale Ängste. Furcht hingegen ist eine Reaktion in Körper und Seele auf echte Bedrohungen. Dieses Gefühl ist lebensnotwendig. Es ist für Gegenmaßnahmen notwendig, die zum Schutz der eigenen Person eingeleitet werden.
Ein Furchtgefühl ist also per Definition eine normale Reaktion auf erahnte oder erkannte Bedrohungen. Ein furchtsamer Mensch ist aber nicht unbedingt ein Angsthase. Nur im Kreuzworträtsel werden beide Begriffe gleichgesetzt und als Synonym benutzt. Gleichermaßen ist ein anscheinend furchtloser Mensch nicht automatisch frei von Ängsten. Reinhold Messner erstieg furchtlos die höchsten Berge der Welt ohne Sauerstoffgerät. Er gab aber zu, manchmal Angst gehabt zu haben. Eine zu große Furchtsamkeit hätte ihn vom Wagnis des Bergsteigens abgehalten.
Was ist eine Furchtkonditionierung?
Der Begriff „Furchtkonditionierung“ stammt aus dem klinischen Bereich. Er wird hier im Sinne einer klassischen Konditionierung verwendet. Demnach lösen unkonditionierte Reize Ängste aus. Diese können zu Angststörungen, posttraumatischen Belastungsstörungen oder Phobien führen.
Manche Menschen erleben beispielsweise nach einem Autounfall – der an sich einen unkonditionierten Reiz darstellt – Angst oder tief sitzende Furcht. Die Furchtreaktion stellt einen aus dem Unfall resultierenden Reiz dar. Die Angst oder Furcht ist somit konditioniert. Sie wird verinnerlicht und abgespeichert. Daraufhin kämpfen die betroffenen Autofahrer bei jedem Einsteigen in ein Auto gegen die Angst vor dem Autofahren an (vgl. Angst alleine Auto zu fahren). Manche Fahrer geben deswegen nach einem dramatischen Unfall freiwillig ihren Führerschein ab.
Verunfallte Rennfahrer setzen sich aus diesem Grund möglichst schnell wieder hinter das Steuer ihres Boliden. Sie wollen verhindern, dass es zu einer Furchtkonditionierung kommt. Selbst der schwer verbrannte Niki Lauda trat damit gegen seine Angst vor einem neuerlichen Unfall an. Das Thema Furchtkonditionierung ist spannend. Es wurde deswegen schon öfter zum Thema einer Doktorarbeit oder Dissertation.
Die Rolle der Amygdala bei der Entstehung von Furchtgefühlen
Beteiligt an der Konditionierung von Ängsten und Furchtgefühlen ist die Amygdala. Diese ist als zweifach vorhandene Instanz des limbischen Systems dafür verantwortlich, Situationen emotional zu bewerten. Sie kann ähnliche Situationen erkennen und diese auf potenzielle Gefahren hin abtasten. Indem sie Impulse von außen verarbeitet, leitet sie die Reaktionen darauf im vegetativen Nervensystem ein. Fehlfunktionen der Amygdala werden heute mit zahlreichen Störungen in Verbindung gebracht – zum Beispiel mit
- Gedächtnisstörungen
- Autismus
- Depressionen
- posttraumatischen Belastungsstörungen
- Phobien
- oder Angststörungen durch unkonditionierte Reize.
Zu diesen Themen ist weitere Forschung notwendig. Auch andere Auslöser als eine funktionsunfähige Amygdala können zu solchen Folgeerscheinungen beitragen.
Interessant ist die Amygdala bezüglich des Entstehens von Furcht und Angst. Die Amygdala kann Gefühle abspeichern, die jemand in einer bestimmten Situation hatte. Je öfter dieser Reiz der Furcht wiederholt wird, desto mehr Furchtgefühl entsteht. Die Furchtreaktion stellt sich schon bald bei geringeren Reizen ein. Dadurch kommt es zur diffusen Angstreaktion. Irgendwann lösen auch ähnliche Situationen eine Überreaktion der Amygdala aus. Darauf reagiert der Körper mit Ängsten, Panikattacken, Herzrasen, Übelkeit oder Schweißausbrüchen.
Der Begriff des „Körpergedächtnisses“ beschreibt eine generalisierte, im Körper gespeicherte Angstreaktion. Diese wird durch einen Trigger ausgelöst. Letztlich kann dann auch die Angst vor der Angst eine Panik-Reaktion auslösen (siehe auch: Erwartungsangst bekämpfen). Die Furcht wurde konditioniert und im Körpergedächtnis gespeichert. Ohne die Amygdala würde wohl kein Mensch Ängste oder Furcht empfinden. Bewiesen ist das durch Menschen, die am genetisch bedingten Urbach-Wiethe-Syndrom leiden. Bei diesem ist die paarig vorhandene Amygdala auf beiden Hirnseiten durch eine Verkalkung geschädigt.
In der Folge empfinden die Betroffenen keine Reaktion von Furcht mehr. Sie erleben selbst lebensbedrohliche Situationen nicht als traumatisch. Ausnahme: Bei Erstickungsgefühlen haben auch diese Menschen Angst. Ein furchtloser Mensch könnte theoretisch eine gestörte Amygdala haben. Das Urbach-Wiethe-Syndrom wurde aber bisher nur bei etwa 100 Menschen weltweit festgestellt.
Ist gesteigerte Furchtsamkeit Auslöser psychischer Erkrankungen?
Viele Menschen haben Angst im Dunkeln oder Angst vor Einbrechern nachts. Sie lassen das Nachtlicht an. Manche nehmen Beruhigungstropfen ein. Andere schwören auf Calmvalera bei Angstzuständen oder kaufen Mimulus Bachblüten.
Einige Menschen haben Angst zur Arbeit zu gehen. Sie werden dort vielleicht gemobbt. Manche fühlen sich permanent überfordert durch Stress. Andere Menschen haben Angst vor Friedhöfen. Dieser Furcht liegt vielleicht eine latente Angst vor dem eigenen Tod zugrunde.
Furcht und Angst: Was ist noch „normal“?
Sind solche Ängste normal oder sind sie ein Zeichen gesteigerter Furchtsamkeit? Falls es so ist, sind solche Menschen anfälliger für psychische Erkrankungen? Die Frage der Angstbewältigung kann tatsächlich zentral werden. Wenn jemand an Angststörungen und Panikattacken leidet, mangelt es offensichtlich an einer ausreichenden Angstbewältigung. Jedoch können auch Mensch, die auf andere furchtlos wirken, psychisch krank werden. Gesteigerte Furchtsamkeit kann ebenso wie Furchtlosigkeit zum Auslöser psychischer Probleme werden.
Aus starker Angst vor Blitzen und Donner kann potenziell eine generalisierte Angst vor Gewitter – eine Astraphobie – werden. Möglicherweise hat jemand einmal einen Zeitungsbericht über Tote durch einen Blitzeinschlag auf einem Campingplatz gelesen. Wenn daraufhin eine Angstkonditionierung erfolgt, wird diese Angst gespeichert. Bei jedem Gewitter schlägt sie als Panikattacke zu, selbst wenn für den Betroffenen keine reale Gefahr besteht. Dennoch muss ein furchtsamer Mensch, der sich bei Gewitter nicht sicher fühlt, keine Phobie entwickeln. Dazu gehört schon etwas mehr.
Was können Betroffene gegen ihre Furcht tun?
Tief sitzende Furcht und daraus resultierende Angsterkrankungen sind gut behandelbar. Je früher die Behandlung vorgenommen wird, desto besser. Die Erfahrung zeigt aber, dass viele Menschen erst nach Jahren eine Behandlung erhalten. Laut Definition liegt schon eine Angsterkrankung vor, wenn Ängste das gewohnte Leben ein halbes Jahr dominiert und eingeschränkt haben.
Die analytische Psychotherapie und drei weitere Therapieverfahren sind wissenschaftlich anerkannt. Die Krankenkassen übernehmen dafür die Kosten (siehe: Was machen Psychologen?). Statt sich grübelnd in seine Furcht zu verkriechen, sollte jeder Betroffene sich seinen Ängsten mit tiefenpsychologischen Methoden oder einer kognitiven Verhaltenstherapie nähern. So kann jeder den Sympathikus beruhigen und die abgespeicherten körperlichen Reaktionen auf den Angstauslöser nach und nach mindern.
Ausgeuferte oder generalisierte Angst ist belastend. Sie torpediert das gewohnte Leben. Zunächst greifen viele Menschen zu rezeptfreien Beruhigungstropfen, Bachblüten-Mischungen oder Calmvalera. Sie nutzen Klopftechniken, autogenes Training oder andere angstlösende Techniken. Im Zuge des Selbstmanagements ist das sinnvoll. Es hilft aber nicht immer genug. Das gilt auch für pflanzliche Beruhigungsmitteln wie Baldrian, Hopfen oder Passionsblumen-Extrakt. Ohne professionelle Hilfe kann den Betroffenen nicht ausreichend geholfen werden. Die Verhaltenstherapie ist das bewährteste Therapieverfahren bei Ängsten.
Zusätzlich oder zu Beginn der Therapie kann auch medikamentös mitbehandelt werden. Häufig werden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) als Antidepressiva eingesetzt. Diese Medikamente wirken allerdings erst nach etwa zwei bis sechs Wochen. Als Wundermittel sind SSRI nicht anzusehen, weil sie nicht jedem Betroffenen helfen. Außerdem haben sie mehr oder weniger starke Nebenwirkungen. Mögliche Alternativen sind
- selektive Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI)
- Lyrica bzw. Pregabalin
- Opipramol
- Buspiron
- Hydroxyzin
oder Benzodiazepine, die als Tranquilizer Medikamente allerdings ein hohes Abhängigkeitspotenzial haben.
Wichtig ist, seinen Ängsten aktiv und nicht passiv gegenüberzutreten. Wer länger auf einen Psychotherapieplatz warten muss, kann sich mit Medikamenten oft über die Zeit retten. Es ist weder ein Abhängigkeitspotenzial zu befürchten, noch sind solche Hilfen ein Anzeichen von Schwäche. Vielmehr zeugt es von innerer Stärke, sein gewohntes Leben zurückhaben zu wollen.
Siehe auch auf dieser Website:
Quellen:
- de.wikipedia.org/wiki/Furcht
- youtube.com/watch?v=Vy3h64EUHy4
- youtube.com/watch?v=Y2c28K_ABJs
- de.wikipedia.org/wiki/Klassische_Konditionierung
- de.wikipedia.org/wiki/Amygdala
- de.wikipedia.org/wiki/Urbach-Wiethe-Syndrom
- fr.de/ratgeber/gesundheit/diese-sieben-erkrankungen-gefaehrden-unsere-psyche-11111175.html
- gesundheit.de/krankheiten/psyche-und-sucht/angsterkrankungen/wenn-angst-krank-macht
- psyga.info/psychische-gesundheit/psychisch-gesund-psychisch-krank
- wiki.yoga-vidya.de/Furchtsamkeit
- praxisvita.de/was-tun-gegen-angst-wenn-angstzustaende-zur-krankheit-werden-22.html
- angstselbsthilfe.de/angststoerungen/hilfe-zur-selbsthilfe/
- gesundheitsinformation.de/behandlungsmoeglichkeiten-bei-generalisierter.2707.de.html?part=behandlung-tt