Bei Depressionen von Erwachsenen kommt in neuerer Zeit häufiger das Medikament Tianeurax (Tianeptin) als neuartiges Antidepressivum zur Anwendung. Eingeführt und zugelassen wurde dieses Präparat erst 2011/2012. Tianeurax gehört in die Gruppe der trizyklischen Antidepressiva, denen der Hersteller relativ geringe Nebenwirkungen bescheinigt.
Fachleute erklären, dass Tianeurax ein sogenannter „Serotonin-Reuptake-Enhancer“ (SRE) ist und damit – anders als andere Antidepressiva – die Wiederaufnahme von Serotonin verstärkt, statt diese zu verringern oder hemmen. Genau deswegen ist umstritten, ob die antidepressive Wirkung so oder durch andere Effekte eintritt.
Die Wirkung von Tianeurax / Tianeptin
Auch wenn die antidepressive Wirkung von Tianeurax / Tianeptin durch Placebo-kontrollierte Studien bestätigt wurde, ist dieser Effekt in der Fachwelt in die Diskussion geraten. Die versprochene Wirkung steht nämlich im Widerspruch zu allen bisher in der Schulmedizin aufrecht erhaltenen Depressions-Theorien. Diese besagen, dass die Wirkung solcher Antidepressiva üblicherweise auf der Hemmung der Wiederaufnahme von Serotonin und anderen Neurotransmittern beruhe. Bei Tianeurax ist dieses Wirkprinzip aber in sein Gegenteil verkehrt worden.
Inzwischen gibt es auch Studien, die den im Beipackzettel beschriebenen Effekt von Tianeptin für fragwürdig halten. Die Fachwelt nimmt stattdessen an, dass das Tianeptin modulierend auf das „glutamaterge System“ wirkt. Es wirkt also auf einen Neurotransmitter ein, der bekanntermaßen bei der Entstehung von Depressionen eine wichtige Rolle spielt. Die Wirkung liegt aber nicht in dessen Hemmung oder Wiederaufnahme, sondern eher in den angenommenen modulierenden Eigenschaften.
In Deutschland zugelassen ist Tianeptin (Tianeurax) für die Behandlung leichter, mittelschwerer und schwerer Depressionen. Es ist also möglich, dieses Medikament zur Behandlung einer agitierten Depression, von reaktiven Depressionen oder einer larvierten Depression zu verordnen.
https://www.youtube.com/watch?v=xNZSkIY1UuA
Sinnvoll ist in den meisten Fällen, begleitend zu einer medikamentösen Therapie eine Psychotherapie inkl. Psychoedukation bei Depression vorzunehmen. Der Grund dafür ist unter anderem der verzögerte Wirkungseintritt der meisten Antidepressiva. Psychologische Psychotherapeuten sind für Therapiebegleitungen die richtigen Ansprechpartner. Depressionen und sozialer Rückzug gehen meist zusammen. Oftmals funktionieren die Betroffenen (noch) im Berufsleben, ziehen sich aber ansonsten von der Mitwelt zurück. Es geht bei der Therapie darum, die Patienten wieder lebensfähig zu machen und einen möglicherweise drohenden Suizid zu verhindern. Oftmals erfahren die Betroffenen erst Jahre nach dem ersten Auftreten von Depressionen eine fachkundige Behandlung.
siehe auch: rezidivierende depressive Störung gegenwärtig mittelgradige Episode
An Off-Label-Nutzungen finden sich für Tianeurax aber auch Anwendungen bei Angst- und Zwangsstörungen. Studien ergaben, dass der Neurotransmitter Glutamat auch bei diesen Störungen eine gewisse Rolle spielt. Die antidepressive und die angstlösende Wirkung von Tianeptin erwies sich in Dosierungen zwischen 25 mg und 50 mg je Tag als ebenbürtig gegenüber anderen tri- und tetrazyklischen Antidepressiva. Das gilt auch bei schwer depressiven Betroffenen.
Die Dosierung von Tianeurax
Die durchschnittlich empfohlene Dosis Tianeptin liegt bei 12,5 mg, eingenommen drei Mal täglich vor den Mahlzeiten. Nur bei älteren Patienten jenseits der siebzig, oder wenn jemand wegen einer eingeschränkten Nierenfunktion in medizinischer Behandlung ist, wird die empfohlene Dosis auf zweimal je Tag reduziert. Im Schnitt ist der erste Wirkungseintritt sieben bis 14 Tage später zu erwarten.
Ausnahme: Wenn Tianeptin nach einem klinischen Alkoholentzug verabreicht wird, weil der Betroffene Depressionen hat, muss mit einem verzögerten Wirkungseintritt von bis zu acht Wochen gerechnet werden.
Grundsätzlich gilt bei allen psychotropen Arzneimitteln, dass ein langsames Einschleichen und ein behutsames Ausschleichen notwendig sind. Der Betroffene darf solche Medikamente nicht eigenmächtig absetzen. Die empfohlene Dosis wird stattdessen schrittweise und nach ärztlicher Anweisung abgesenkt. Das Ausschleichen erfordert meist zwei oder drei Wochen. Ist das Medikament vollständig ausgeschlichen, sollte es dem Patienten auch ohne das Präparat gut gehen.
Zu beachten ist, dass dem Arzt vor einer operationsbedingten Narkose unbedingt mitgeteilt werden muss, dass der Patient Tianeptin einnehmen muss. Einen oder zwei Tage vor der OP muss das Medikament abgesetzt werden, ohne dass es erst ausgeschlichen werden kann. In diesem Fall ist der Anweisung des Narkosearztes zu folgen. Er hat bereits Erfahrungen mit solchen Situationen gemacht. Gegebenenfalls muss die Operation verschoben werden.
Unerwünschte Tianeptin Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und Kontraindikationen
Auch wenn Tianeurax bzw. Tianeptin laut Hersteller gut verträglich sind, ist der Beipackzettel aller Antidepressiva gründlich zu studieren. Gegebenenfalls sind Unverträglichkeiten oder absehbare Nebenwirkungen zu erwarten, die eine Einnahme von Tianeurax ausschließen. Zu den beachtenswerten Nebenwirkungen gehören
- Mundtrockenheit
- Darmträgheit und Bauchschmerzen
- Übelkeit, Blähungen und Erbrechen
- Durchfall
- Sodbrennen
- Müdigkeit und Benommenheit
- Schlafprobleme
- Essstörungen (v. a. Magersucht)
- eingeschränkte Sehfähigkeit
- Zittern
- Kopfschmerzen
- Hitzewallungen
- Herzrasen oder lautes Herzklopfen
- Atembeschwerden
- Brustschmerzen
- Muskel- und Rückenschmerzen
- Kloßgefühl im Hals
- Juckreiz und Nesselsucht
- sowie Albträume.
Viele Tianeptin Nebenwirkungen, die bei anderen SSRI-Antidepressiva in stärkerer Ausprägung auftreten, treten hier jedoch Erfahrungen von Betroffenen zufolge vergleichsweise seltener oder in leichterer Form auf. Tianeptin gehört außerdem zu den Antidepressiva ohne Gewichtszunahme. Bei Kindern und Jugendlichen mit Depressionen sollte Tianeurax grundsätzlich nicht verordnet werden.
Zu den Wechselwirkungen gehört die Warnung, Tianeptin nie gleichzeitig mit nicht-selektiven MAO-Hemmern einzunehmen. Hier besteht ein erhöhtes Risiko, einen Kreislaufkollaps zu erleiden. Es kann verstärkt zu Bluthochdruck, Krämpfen und Hyperthermie. Es besteht zudem die Möglichkeit, an dieser Kombination zu sterben. Wenn ein nicht-selektiver MAO-Hemmer eingenommen werden muss, sollte das Tianeurax zwei oder drei Wochen vorher abgesetzt werden. Wenn bereits Tianeptin eingenommen wird, und ein MAO-Hemmer dieses Medikament ersetzen soll, dann genügt allerdings das Absetzen des Tianeptins einen Tag vor der erstmaligen Einnahme des MAO-Hemmers.
Bei vorangehenden Therapien mit SSRI- oder SNRI-Antidepressiva müssen diese Medikamente zuerst ausgeschlichen werden. Erst dann darf eine Behandlung mit Tianeptin erfolgen. Es kommt sonst zu Entzugserscheinungen.
Erfahrungen mit der Abhängigkeit von dieser Droge
Es passiert ärztlichen Erfahrungen zufolge zwar selten, dass jemand in Deutschland eine Abhängigkeit gegen über Tianeurax entwickelt – aber es kommt gelegentlich vor. In Frankreich, wo Tianeurax schon 1988 unter dem Medikamentennamen „Stablon“ eingeführt wurde, wurde die Verordnung dieses Antidepressivums jedoch im Jahre 2012 aufgrund des Missbrauchsrisikos eingeschränkt. In Österreich ist Tianeurax weiterhin uneingeschränkt erhältlich.
In Deutschland wurde das Präparat 2011/2012 zugelassen. Es sollte ein anderes Präparat ersetzen, das nie die Zulassung erhalten hatte. Der Hersteller Neuraxpharm hat wohl mit seiner Werbung für das verschreibungspflichtige Mittel gegen Vorgaben des Heilmittelwerbegesetzes verstoßen, weil er sein Präparat sogar im Internet gegenüber nicht informierten medizinischen Laien als „gut verträglich“ und mit einem „einzigartigen“ Wirkprinzip ausgestattet beworben hatte. Diese Formulierung findet sich dann auch in einer Mitteilung im Ärzteblatt wieder. Mittlerweile ist Tianeurax in der Fachwelt aber nicht mehr gänzlich unumstritten.
Insbesondere, wenn die damit Behandelten zu einem Arzneimittelmissbrauch und einer Abhängigkeit von Medikamenten oder Alkoholika neigen, ist die Gefahr einer Abhängigkeit gegeben. Der Arzt sollte also vor einer Verordnung entsprechende Fragen nach einer Vorgeschichte mit Alkohol- oder Drogenmissbrauch stellen. In manchen Ländern wurde das Medikament wegen der Gefahr der Suchtabhängigkeit mittlerweile vom Markt genommen. Die in Frankreich eingeführten Warnhinweise wurden mittlerweile auch auf deutschen Beipackzetteln umgesetzt. Demnach darf die empfohlene Maximaldosierung nicht überschritten werden.
Bei akut bestehender, kurz vorher bestehender sowie bei länger zurückliegender Alkohol- oder Drogenabhängigkeit sind entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu treffen. Solche Menschen neigen eher dazu, bei unzureichender Wirkung oder verzögertem Wirkungseintritt eigenmächtig eine Dosiserhöhung der Droge und/oder des Medikaments vorzunehmen. Die Suchtgefahr und das Abhängigkeitspotenzial von Antidepressiva werden anscheinend unterschätzt oder von behandelnden Medizinern kleingeredet. Eine Neigung zur Sucht kommt jedoch quer durch alle Altersschichten und in allen gesellschaftlichen Schichten vor, wie die Erfahrungen zeigen (vgl. Sucht und Abhängigkeit). Nicht jeder Mensch ist sich darüber bewusst, eine Suchtpersönlichkeit zu haben.
Der verspätete Wirkungseintritt von Antidepressiva oder Neuroleptika verführt zudem leicht dazu, dass dieses Medikament mit anderen Medikamenten, Alkohol oder Drogen kombiniert wird. Die Dosierung der Antidepressiva wird Untersuchungen zufolge manchmal eigenmächtig um das Doppelte erhöht, wenn der Wirkungseintritt einer Droge nicht schnell genug erfolgt. Der Beipackzettel wird ignoriert. Solche Menschen können weder die Droge, noch das Antidepressivum absetzen, weil sie einer Sucht erliegen. Sie müssen sich in absehbarer Zeit weitere Suchtmittel beschaffen. Süchtige erleiden andernfalls schwere Entzugserscheinungen, die ihre Abhängigkeit deutlich machen.
Quellen:
- de.wikipedia.org/wiki/Tianeptin
- youtube.com/watch?v=xNZSkIY1UuA
- pharmazeutische-zeitung.de/arzneistoffe/daten/2012/tianeptintianeuraxr712012/
- test.de/medikamente/wirkstoff/antidepressivum-tianeptin-w466/
- arznei-telegramm.de/html/2013_02/1302402_01.html
- deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2012/daz-50-2012/serotonin-reuptake-enhancer-tianeptin-bei-depression
- deprimed.de/tianeptin/
- aerzteblatt.de/archiv/137193/Depressive-Stoerungen-Einzigartiges-Wirkprinzip-erweitert-das-therapeutische-Repertoire
- spektrum.de/news/machen-antidepressiva-abhaengig/1626864
- youtube.com/watch?v=zYh-3ZOhGvo