Schulmedizinische Behandlung von Angsterkrankungen

Die wichtigste Anlaufstelle für Patienten mit Angststörung ist der Hausarzt, möglicherweise auch deshalb, weil bei vielen Angstpatienten körperliche Beschwerden im Vordergrund stehen wie Schlafstörungen, Abgeschlagenheit, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Herzstolpern oder Schwindel und zunächst nicht an eine Angsterkrankung gedacht wird. Ein weiterer Grund, warum ein Hausarztbesuch auch bei einer offensichtlichen Angststörung sinnvoll ist, liegt darin, das Angstpatienten durchaus an einer Organerkrankung leiden können, die ihnen ihre Angstzustände beschert hat, wie beispielsweise eine Herzerkrankung oder eine Schilddrüsenüberfunktion. Es gilt also, zunächst durch eine gründliche Untersuchung kardiologische, neurologische und endokrine Ursachen für die Angstproblematik auszuschließen.

Youtube Video: Deutsche Welle TV > fit & gesund > Studiogespräch zum Thema „Psychosomatische Medizin“ – Die Internistin und Psychotherapeutin erklärt uns, wie Gedanken und Gefühle die Vorgänge in unserem Körper beeinflussen und wann sie krank machen. (www.youtube.com/watch?v=42Ky0DvTSiU)

Werden keine körperlichen Ursachen gefunden, wird ein aufmerksamer Hausarzt bereits den Verdacht auf eine Angsterkrankung stellen können und durch ein gezieltes Gespräch mit dem Patienten herausfinden, ob er mit seiner Verdachtsdiagnose richtig liegt. Das Nachforschen in Hinblick auf eine bisher unentdeckte Angststörung ist deshalb wichtig, damit der Patient bei unauffälligen Organbefunden nicht jahrelang ohne korrekte Diagnosestellung und fachgerechte Behandlung seiner Angsterkrankung eine Odyssee durch Arztpraxen durchleidet, bei der immer wieder die gleichen Untersuchungen durchgeführt werden und die eigentliche Ursache der Beschwerden nicht erkannt wird. Bei einer entsprechenden Zusatzausbildung kann ein Hausarzt durchaus die Behandlung einer Angsterkrankung selbst durchführen oder aber, er überweist den Patienten an einen Spezialisten. In Frage kommen Neurologen, Psychiater und Psychotherapeuten, wobei sich die Psychotherapeuten nochmals in Psychologen und ärztliche Psychotherapeuten untergliedern (siehe Arten von Psychotherapeuten).

Wichtigster Unterschied zwischen Psychologen und ärztlichen Psychotherapeuten ist, dass Psychologen keine Medikamente verordnen dürfen. Patienten sollten sich nicht aus Scham sträuben, die Hilfe eines Psychiaters oder Psychotherapeuten anzunehmen (vgl. Unterschied Psychiater / Psychologe). Angststörungen besitzen den gleichen Stellenwert wie eine Organerkrankung und sind eine eigenständige Störung mit unter Umständen massiver Beeinträchtigung der Lebensführung. Der Hinweis auf die Häufigkeit und die gute Behandelbarkeit von Angststörungen mag an dieser Stelle helfen, Angst und Scham zu mindern, mit einer psychischen Störung nicht ernstgenommen zu werden.

Angststörungen können in der Schulmedizin mit gutem Erfolg durch Psychotherapie und/oder medikamentöser Therapie behandelt werden. Die Kombination mit den vorgenannten alternativen Maßnahmen ist möglich, sollte jedoch mit dem behandelnden Arzt oder Psychotherapeuten abgesprochen werden.

Psychotherapie bei Angststörungen

Psychotherapie ist für viele Menschen ein Buch mit 7 Siegeln und vermutlich wird sie deswegen auch von vielen als unheimlich betrachtet. Psychotherapie hat nichts mit Gehirnwäsche, Dressur oder Teufelsaustreibung zu tun und man muss sich auch nicht jahrelang auf eine Couch legen und einem wildfremdem Menschen Einblick in sein Inneres gewähren, um psychisch bedingte Beschwerden (siehe psychische Probleme) in den Griff zu bekommen. Vielmehr haben sich im Laufe der Zeit psychotherapeutische Behandlungsmethoden entwickelt, mit denen psychische Leiden bei überschaubarem Zeitaufwand höchst effektiv behandelt werden können.

Techniken der Verhaltenstherapie – Umdenken und Umlernen

Die moderne Psychologie geht davon aus, dass viele psychische Symptome, vor allem Ängste, auf erlerntem Verhalten beruhen und wieder abgewöhnt, also verlernt werden können.

Aus lernpsychologischer Sicht entsteht eine Angststörung durch Fehlinterpretationen und Fehlschlüssen sowie Erwartungen, dass es zu katastrophalen, lebensbedrohlichen Situationen kommen kann, wodurch die Angst noch weiter gesteigert wird. Es entstehen körperliche Begleiterscheinungen wie Blutdruckanstieg, Pulsrasen, Schwindel, Schwitzen, Übelkeit usw. Diese werden als weitere Beweise der lebensbedrohlichen Situation fehlinterpretiert und führen zu einer Zunahme der Angst, die wiederum als Beweis für die tatsächliche Bedrohung interpretiert wird, sodass schließlich nur noch die Flucht übrig bleibt: raus aus dem überfüllten Saal, runter vom hohen Turm, weg aus der Menschenmenge. Die Folge ist eine strikte Vermeidung der Angst auslösenden Situation: also kein Kinobesuch mehr, keine Flugreise in den Urlaub, keine weite Entfernung von zu Hause.

Die zunehmenden Vermeidungen führen zur Angst vor der Angst, ein sich kontinuierlich verengender Teufelskreis („Angstspirale„) lässt schließlich banale Alltagstätigkeiten zur Qual werden. Konflikte innerhalb der Familie, am Arbeitsplatz und in der Gestaltung der Freizeit sind vorprogrammiert.

Systematische Desensibilisierung durch Konfrontationsübungen

Wenn es nun gelingt, diesen Teufelskreis zu erkennen und zu verstehen, dann kann es auch gelingen, das Fehlverhalten mit all seinen Fehlinterpretationen, das sich über Monate und Jahre entwickelt hat, rückgängig zu machen. Das älteste hierfür eingesetzte Verfahren ist die systematische Desensibilisierung, die aus drei Stufen besteht:

  1. Erstellung einer Rangfolge – Was macht am meisten Angst?
  2. Erlernen eines angstmindernden Entspannungsverfahrens, insbesondere der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobsen.
  3. Stufenweises Herangehen an die angstauslösende Situation, zunächst in Gedanken, schließlich im Feldversuch. Je mehr der Patient erlebt, dass nicht die Angst ihn, sondern er die Angst beherrscht, um so mehr wird er sich an angsterfüllende Situationen gewöhnen, wodurch das unerwünschte Angstverhalten schließlich überwunden und ausgelöscht werden kann. Entscheidend ist, dass der Angstpatient die Fehlwahrnehmung normaler Körperprozesse wie Herzrasen und schnelles Atmen, die Fehlinterpretation der inneren Angst als tatsächliche reale Gefahr und den Verlust des Vertrauens auf die eigenen Kräfte durch Umlernen überwindet.

Eine Methode, mit der selbst schwere und hartnäckige Angststörungen überwunden werden können, ist die sogenannte Exposition, die auch als Konfrontation oder Reizüberflutung bezeichnet wird (siehe Konfrontationstherapie). Dabei wird dem Patienten das abverlangt, was er am meisten fürchtet: sich der Angst auslösenden Situation auszusetzen, ohne, dass er aus ihr entfliehen kann und z.B. mit einer überfüllten U-Bahn zu fahren. So furchterregend die Situation auch sein mag, er wird lernen, dass seine befürchteten Katastrophen nicht eintreten werden – er wird keinen Herzinfarkt erleiden, nicht ohnmächtig werden, nicht von anderen Fahrgästen ausgelacht werden – und er durchaus in der Lage ist, standzuhalten. Voraussetzung für das Gelingen der Konfrontationstherapie ist eine vertrauensvolle Patient-Therapeut-Beziehung, eine gute Vorbereitung durch Gespräche und auch genügend Zeit (ein, zwei Stunden sollten es schon sein). In der Regel muss die Exposition mehrfach wiederholt werden, wodurch es in rund 85 % der Fälle gelingt, eine dauerhafte Überwindung der Angst zu erreichen. Da sich Ängste gerne ausbreiten, werden möglicherweise nicht alle Ängste damit behoben, aber die Überwindung eines über Jahre bestehenden quälenden Zustandes beim Anblick einer überfüllten U-Bahn ist für den Angstpatienten ein epochaler Erfolg!

Kognitive Verhaltenstherapie

Seit den 1970er Jahren hat sich die kognitive Verhaltenstherapie in der psychotherapeutischen Behandlung zunehmend durchgesetzt. Ursprünglich war sie zur Behandlung schwerer Depressionen gedacht (vgl. depressive Episode), mittlerweile findet sich kaum noch eine psychotherapeutische Technik, die nicht wenigstens Elemente der kognitiven Therapie beinhaltet.

Unter kognitiv oder besser kognitiven Fähigkeiten versteht man die Fähigkeiten des Menschen, Signale seiner Umgebung bewusst wahrzunehmen und weiterzuverarbeiten, wodurch sein Denken, Wissen, Interpretieren, Erinnern etc. beeinflusst wird. Die Kognition bestimmt letztlich unser Verhalten, denn Denken und Verhalten stehen in einer engen, unauflösbaren Wechselbeziehung. Die Kognition kann aber auch fehlerhaft verlaufen und zu Fehlinterpretationen führen wie beispielsweise:

  • enge Räume sind gefährlich,
  • meine Kollegen beobachten mich permanent kritisch,
  • Herzrasen ist Ausdruck einer schweren Erkrankung,
  • die Welt ist gefährlich.

Im Mittelpunkt der kognitiven Verhaltenstherapie steht die Veränderung von Denkschemata (die Welt ist gefährlich) und Wahrnehmungsschemata (Gefühl, kritisch beobachtet zu werden), letztlich also von Empfindungen, Bewertungen und Erwartungen.

Ziel der kognitiven Verhaltenstherapie ist es, Veränderungen im Denken in Gang zu setzen (so schlecht ist die Welt gar nicht), wodurch wiederum auch das Verhalten des Betreffenden geändert werden kann (meine Kollegen sind eigentlich ganz nett, könnten mal einen Kaffee zusammen trinken).

Wie bei den Depressionen steht auch bei der Behandlung von Angsterkrankungen die Veränderung von ausgeprägt negativen Gedanken im Vordergrund der kognitiven Verhaltenstherapie (vgl. negative Gedanken loswerden). Mit der Hilfe des Therapeuten werden Katastrophengedanken kritisch hinterfragt und auf ihren Realitätssinn geprüft und gemeinsam Alternativgedanken zu Fehlinterpretationen erarbeitet. Auf diese Weise sollen Denkfehler wie Verallgemeinerungen (ständig, immer, nie), Überschätzung von vermeintlichen Kränkungen oder Aggressionen sowie ein Schwarz-Weiß-Denken ohne Zwischentöne überwunden werden.

Hilfreich kann hierzu das Angsttagebuch sein, in das Patienten ihre angstbesetzten Erlebnisse und Gedanken dokumentiert haben. Mithilfe der Verhaltenstherapie können sie ihre Denkfehler erkennen und lernen, bestimmte Angstsituationen schließlich ganz anders zu interpretieren – nämlich als harmlos.

Eine spezielle Technik der Verhaltenstherapie ist der innere Monolog. In einem Training lernt der Patient, sich als Vorbereitung auf angstbesetzte Situationen selbst zu instruieren, indem er bestimmte Formeln erlernt, die ihm helfen, z.B. in Prüfungssituationen einen ruhigen Kopf zu bewahren (vgl. Angst vor Prüfungen) und nicht davon zu laufen. Dazu gehört auch, sich selbst nach erfolgreicher Überwindung der Situation anerkennend auf die Schulter zu klopfen.

Wie läuft eine psychotherapeutische Behandlung ab?

  • Zu Beginn einer psychotherapeutischen Behandlung muss zunächst in einem ausführlichen Gespräch zwischen Patient und Therapeut geklärt werden, um welche Angststörung oder auch Kombination von Angststörungen (vgl. auch Komorbiditäten) es sich überhaupt handelt. Zur Klärung kann das Angsttagebuch beitragen, indem es dem Patienten erleichtert, typische Angstsituationen und seine Gedanken zu schildern.
  • In den meisten Fällen kann der Therapeut bereits nach dem ersten Gespräch eine Diagnose stellen und ein geeignetes Behandlungsverfahren vorschlagen. Es können dann Therapiesitzungen vereinbart werden, die in der Regel 45 oder auch 60 Minuten pro Sitzung dauern und ein- bis zweimal wöchentlich in der Therapeutenpraxis stattfinden.
  • Einzelsitzungen sind die Regel, evtl. können aber auch Gruppenaktivitäten sinnvoll sein (siehe Wann ist Gruppentherapie sinnvoll?), wenn beispielsweise das soziale Miteinander wieder eingeübt werden muss (Sozialkompetenztraining).
  • In schweren Fällen kann auch eine stationäre Behandlung erforderlich sein, um eine Angsterkrankung in den Griff zu bekommen.
<b>Psychotherapeutisches Erstgespräch - Wartezeiten nach Bundesland</b> > Die Statistik zeigt die durchschnittlichen Wartezeiten auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch in den deutschen Bundesländern im Jahr 2011. Die Wartezeit in Mecklenburg-Vorpommern lag durchschnittlich bei 18 Wochen. Die BPtK-Studie basiert auf der Befragung von rund 9.000 Psychotherapeuten. (Quelle: STATISTA / BPtK-Studie zu Wartezeiten in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung, Seite 9)
Psychotherapeutisches Erstgespräch – Wartezeiten nach Bundesland > Die Statistik zeigt die durchschnittlichen Wartezeiten auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch in den deutschen Bundesländern im Jahr 2011. Die Wartezeit in Mecklenburg-Vorpommern lag durchschnittlich bei 18 Wochen. Die BPtK-Studie basiert auf der Befragung von rund 9.000 Psychotherapeuten. (Quelle: STATISTA / BPtK-Studie zu Wartezeiten in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung, Seite 9)

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