Vor mehr als zweitausend Jahren entwickelte der griechische Gelehrte Aristoteles den Begriff des Zoon politikon. Der Fachbegriff Zoon politikon beschreibt den Menschen als ein auf Gemeinschaft ausgerichtetes Wesen. Heute gilt es als selbstverständlich, dass Menschen nicht gern allein sind. Das soziale Wesen hat den Status einer anthropologischen Konstante. Doch was ist, wenn Menschen eine so große Angst vor dem Alleinsein entwickeln, dass sie gar nicht mehr allein sein können?
Autophobie – die Angst vor dem Alleinsein
Der Fachbegriff für die Angst vor dem Alleinsein lautet Autophobie. Begriffe, die synonym gebraucht werden, sind: Monophobie, Eremophobie und Isolophobie. Je nach Gesundheitsorganisation kann es leichte Unterschiede bei der Definition der Autophobie geben. Allen Definitionen gemein ist die erhöhte Angst vor Einsamkeit, die sich in körperlichen Symptomen manifestiert. Das Alleinesein wird als große Belastung empfunden. Die Angst vor Einsamkeit dominiert das Leben der Betroffenen, da sie krampfhaft versuchen, in Kontakt mit anderen Menschen zu sein.
In dem weltweit anerkannten Diagnoseklassifikationssystem ICD-10 wird die Angst vor dem Alleinsein zu den spezifischen Phobien (F40.2) zugerechnet; siehe auch Phobien Definition.
Subjektive Einsamkeit
Für Menschen, die an einer Monophobie / Eremophobie leiden, ist vor allem die subjektiv empfundene Einsamkeit für ihr Leiden verantwortlich. Es spielt eine untergeordnete Rolle, ob sie tatsächlich sozial isoliert sind, temporär alleine sind oder sich in einer Gruppe ignoriert fühlen. So können sich Menschen, die unter einer Monophobie leiden, sich auch in größeren Menschenmengen oder sogar innerhalb einer Gruppe von Freunden unwohl fühlen, wenn sie glauben, ignoriert zu werden. Ungeliebt oder ungewollt zu sein, ist für Betroffene eine quälende Vorstellung.
Wie wird die Angst vor dem Alleinsein diagnostiziert?
Bei einem Verdacht einer Monophobie sollte der Hausarzt aufgesucht werden. Dieser wird den Betroffenen im gegebenen Fall zu einem Psychologen weiterleiten, sobald eine körperliche Ursache ausgeschlossen ist.
Der Psychologe führt eine eigenständige Anamnese durch, um das Krankheitsbild mit der persönlichen Geschichte des Patienten in Einklang zu bringen. Er versucht die Krankheitsgeschichte, das Verhalten und die Gefühle des Patienten, zu erfassen. Er stellt fest, ob die Person unter tatsächlicher sozialer Isolation oder einer Angst vor dem Alleinsein leidet. Da es sich bei der Eremophobie um eine situative Phobie handelt, wird die Angst erst als pathologisch (Krankheit) diagnostiziert, wenn sie den Alltag des Patienten stört.
Daneben versucht der Psychologe herauszufinden, ob der Patient eine oder mehrere Phobien hat. In vielen Fällen haben Betroffene mehr als nur eine Phobie. Manche dieser Phobien kann der Experte mithilfe eines Tests feststellen. Die Isolophobie kann beispielsweise im Rahmen einer Agoraphobie auftreten, bei welcher der Betroffene sich unwohl an manchen Orten oder in bestimmten Situationen fühlt. Daneben können Selbst-Hass, Probleme mit dem Selbstbewusstsein und Depression Teil des Krankheitsbildes sein. Zudem kann ein Zusammenhang mit einer sozialen Angststörung bestehen; > Angststörung verstehen.
Symptome einer Monophobie, Eremophobie, Isolophobie
Die Symptome der Betroffenen unterscheiden sich individuell. Die Gemeinsamkeit ist die Angst vor dem Alleinsein. Autophobe Menschen können zudem an dem Gedanken leiden, alleine zu sein. Ein häufiges Gedankenmuster ist die drohende Katastrophe, die hereinbricht, sobald der Betroffene allein ist.
Wie bei anderen Angststörungen kann es zu einer Derealisation kommen (vgl. Derealisationssyndrom). Dabei fühlt sich der Betroffene von seiner Umwelt entfremdet und empfindet bekannte Orte als seltsam. Eine Derealisation oder eine Depersonalisation können Teil einer Panikattacke sein.
Die Symptomatik überschneidet sich in manchen Diagnosekriterien mit der Borderline-Persönlichkeitsstörung (vgl. Borderline Verlassensangst sowie Borderline emotionale Abhängigkeit). Das erste Kriterium zur Diagnose einer Borderline-Persönlichkeitsstörung der American Psychiatric Association lautet: „Krampfhaftes Bemühen, tatsächliches oder vermutetes Verlassenwerden zu vermeiden.“ Die Verbindung zwischen der Angst vor dem Alleinsein und der Borderline-Persönlichkeitsstörung hat Dr. Todd Grande in einem seiner Videos thematisiert. (youtube.com/watch?v=bNF_7C5ItLc)
Mögliche Anzeichen einer Monophobie sind:
Psychische und emotionale Symptome:
- die Angst vor dem Alleinsein beansprucht einen Großteil der kognitiven Ressourcen
- Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren
- Angst, verrückt zu werden
- wenn alleine, kann es zu einer Entfremdung von der eigenen Person oder der Umwelt kommen
- Gedanke an Alleinesein verursacht Angst
- Angst vor einer drohenden Katastrophe (beispielsweise Eindringling)
- Panikattacken
- Angst vor antizipierter Einsamkeit (siehe auch Erwartungsangst)
Körperliche Anzeichen
- Herzrasen und erhöhter Blutdruck
- trockener Mund
- Schwindel (phobischer Schwindel) und Benommenheit
- plötzlicher Schweißausbruch
- schnelle Atmung (bis hin zur Hyperventilation)
- Schütteln und Zittern
- Übelkeit
- Taubheitsgefühl
Typisches Verhalten
- Angst tritt auch in gewohnter Umgebung auf, daher werden beispielsweise zwanghaft Telefonate geführt
- andere Menschen werden daran gehindert, einen Ort zu verlassen
- Betroffener ist nicht in der Lage, Aufgaben oder den Alltag allein zu bewältigen
- Abhängigkeit vom Partner in einer Beziehung
- starke Verlustangst; vgl. auch: Trauer zulassen und bewältigen
- Gefühl, vom Partner abgewiesen oder nicht geliebt zu werden
- Beziehungen werden unüberlegt eingegangen (oft Kurzzeitbeziehungen)
Angst vor dem Alleinsein – Therapie und Behandlungsmöglichkeiten
In der Therapie werden die Ursachen der Phobie erfasst. Häufig liegen die Ursachen der Angststörung in der Kindheit. Werden Kinder von ihren Eltern verlassen, entsteht bei ihnen oft die Angst, dass andere wichtiger Personen sie auch verlassen werden. Beziehungen zu anderen Menschen werden dadurch drastisch erschwert (vgl. auch beziehungsunfähig durch Trauma). Das Gefühl der Verlassenheit kann auch durch finanzielle oder emotionale Isolation entstehen. Drastische Lebensereignisse können auch im späteren Verlauf des Lebens noch zur Entwicklung einer Monophobie / Isolophobie führen. Nach einer Trennung kann sich beispielsweise eine Eremophobie entwickeln. Im Alter kann die Krankheit durch das Ableben des Lebensgefährten entstehen.
Wurden die Ursachen gefunden, geht es darum, die Krankheit zu überwinden. Es gibt kein generelles Behandlungsschema, das bei jedem Betroffenen gleich angewendet werden kann. Um die Angst zu überwinden, gibt es verschiedene Behandlungsmöglichkeiten.
- Eine kognitive Verhaltenstherapie (vgl. kognitive Umstrukturierung) gilt bei spezifischen Angststörungen als effektiv. Dabei lernen die Betroffenen, ihre Gefühle bewusster wahrzunehmen und einzuordnen, um von diesen nicht mehr überwältigt zu werden. Es wird versucht, eine rationale Neubewertung der Situation zu erreichen. Die Bildung eines klaren, positiven Selbstbildes kann ebenfalls zum Therapieerfolg beitragen. Daneben werden praktische Tipps erarbeitet, um mit dem Alleinesein besser umzugehen. Zu den Tipps gehört beispielsweise das Anschalten des Fernsehers oder das Hören von Musik. Meditation und Entspannungstechniken erleichtern den Umgang mit der Phobie ebenfalls. Bei einem Trauma kann die Traumatherapie im Rahmen der kognitiven Verhaltenstherapie erfolgen.
- Im Rahmen einer Verhaltenstherapie ist eine Konfrontationstherapie eine Möglichkeit. Dabei wird der Betroffene in einer objektiv sicheren Situation mit seiner Angst konfrontiert, um sie zu überwinden; siehe Konfrontationstherapie.
- Medikamente können die Behandlung unterstützen. Bei der medikamentösen Behandlung liegt der Fokus auf Anxiolytika. Dabei handelt es sich um Medikamente, die Angstsymptome vorbeugen. Antidepressiva und Sedativa werden in besonderen Fällen angewendet.
- Daneben kann eine Gruppentherapie helfen (Gruppentherapie Ablauf). Das regelmäßige Treffen von Menschen, die ebenfalls unter Phobien leiden, gibt den Betroffenen das Gefühl, nicht allein mit ihren Problemen zu sein.
Die Unterstützung von Angehörigen, Kreativität und Hobbys verbessern die Erfolgsaussichten. Dabei erkennen viele Betroffene, dass Beschäftigungen von der Angst ablenken und es nicht immer möglich ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Siehe auch: Innere Leere aushalten.
Treten Suizidgedanken oder Selbstmordversuche auf, kommt eine stationäre Behandlung in einem Krankenhaus in Betracht (vgl. auch Zwangseinweisung Psychiatrie durch Angehörige). Dort gibt es als Experten einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie.
Eremophobie, Isolophobie – Erfolgsaussichten einer Behandlung
Egal, ob sich die Angst vor dem Alleinsein (Isolophobie) in der Kindheit, nach einer Trennung oder im Alter entwickelte: Die Erfolgsaussichten einer Behandlung sind gut. Oft gehen Betroffene jedoch zu keinem Arzt, da sie sich bewusst sind, dass es keine rationalen Gründe für ihre Angst gibt und sich dafür schämen. Erst wenn der Leidensdruck zu hoch ist oder sich zusätzliche Krankheiten wie Depression entwickeln, konsultieren viele den Arzt.
Bei Unsicherheit, ob eine Monophobie / Eremophobie / Isolophobie vorliegt, können Tests im Internet sinnvoll sein. Einen englischsprachigen Test hat die amerikanische Organisation CTRN bereitgestellt. (http://www.changethatsrightnow.com/autophobia/online-test/)
Quellen:
- http://www.changethatsrightnow.com/autophobia/symptoms/
- https://www.fearof.net/fear-of-abandonment-phobia-autophobia/
- https://www.healthline.com/health/autophobia
- https://www.medicalnewstoday.com/articles/319816.php
- https://b-s.pw/psychology/fear-of-loneliness-autophobia-symptoms-and/
- https://www.jameda.de/gesundheit/psyche-nerven/autophobie-ursachen-symptome-behandlung/