Definition und Abgrenzung
Als Erwartungsangst wird zumeist die „Angst vor der Angst“ definiert, also die Furcht vor dem Gefühl von Angst oder Panik selbst. Sie wird auch antizipatorische (= vorwegnehmende) Angst genannt. Sie kann unter normalen Umständen aber auch als Symptom verschiedener anderer Angsterkrankungen auftreten. Zudem beschreibt Erwartungsangst die Angst vor den Auslösern von Panik oder Phobien, bevor diese akut werden.
Da Erwartungsängste üblicherweise nicht als einziges Symptom einer Angsterkrankung auftritt, ist eine Abgrenzung über das Vorhandensein weiterer Anzeichen möglich. Die Abgrenzung besteht daher in der Diagnose der vorliegenden Grunderkrankung. Hier gilt es die konkrete Angsterkrankung zu identifizieren und verwandte Störungen wie Psychosen und Depressionen auszuschließen (siehe: Psychose). Des Weiteren sollten Ursachen für einzelne Symptome der Erwartungsangst, beispielsweise Herzstörungen, Atemwegserkrankungen, Hypoglykämie, Schilddrüsenstörungen und weitere Hormonstörungen ausgeschlossen werden.
Erwartungsangst als Begleiter echter psychischer Erkrankungen
Erwartungsangst kann als Begleitsymptom unterschiedlicher Angsterkrankungen auftreten, am häufigsten als Teil
- einer generalisierten Angststörung (F41.1),
- einer Panikstörung (F41.0),
- Agoraphobie (F40.0 und vor allem F40.01),
- einer spezifischen Phobie (F40.2) oder einer
- sozialen Phobie (F40.1) (F 40.1g).
Dabei spielt sie eine essentielle Rolle bei der Aufrechterhaltung und Verschlimmerung der genannten Erkrankungen.
Symptome und Bedeutung
Im Gegensatz zur Panikattacke, die bei der Anwesenheit des auslösenden Faktors auftritt (oder aber eines Schlüsselreizes wie einer Abbildung des Objekts der Phobie), besteht die Erwartungsangst wesentlich früher. Sie bezieht sich auf ein Ereignis in naher oder ferner Zukunft – unter Umständen auch in einer rein fiktiven Zukunft -, das als belastend wahrgenommen wird.
In gewissem Maße ist eine Erwartungsangst Teil des normalen menschlichen Verhaltensrepertoires in Form von Sorgen. Die Angst davor, Angst zu haben oder zu erschrecken, zeigt sich beispielsweise, wenn es jemand ablehnt einen Horrorfilm zu sehen oder Achterbahn zu fahren: Der Person ist bewusst, dass ihr bei einer Handlung keine reale Gefahr droht, die Abneigung bezieht sich auf das Empfinden von Angst oder Schrecken an sich.
Die Existenz von Erwartungsangst ist evolutionär bedeutsam, da sie Menschen in die Lage versetzte vorauszuplanen und Strategien zur Bewältigung negativer Ereignisse in der Zukunft zu entwickeln und für diese vorzusorgen.
Im Falle von Angsterkrankungen nimmt die Angst vor der Angst jedoch übersteigerte und je nach Erkrankung irreale Ausmaße an (z.B. Furcht vor einer Herzattacke ohne entsprechende gesundheitliche Grundlage) oder bezieht sich auf Ereignisse, deren Eintritt extrem unwahrscheinlich ist (z.B. Flugzeugabsturz). Allein die Angst vor der Angst kann auch vegetative Störungen (vgl. vegetatives Nervensystem) verursachen, die teilweise selbst als extrem beängstigend empfunden werden, da sie mit ernsthaften körperlichen Erkrankungen verwechselt werden können. Dies kann bis hin zum Eindruck führen, beim nächsten Auftreten der Symptome sterben zu müssen, sodass Angstpatienten in ihrer Verzweiflung gelegentlich Notaufnahmen aufsuchen.
Klassische Symptome sind:
- Magen- und Darmstörungen
- Blässe
- Empfinden von Herzauffälligkeiten
- Übelkeit, teilweise sogar mit Erbrechen
- Atemstörungen
- Anspannung
- überhöhte Wachsamkeit
Auswirkungen und Rolle bei Angsterkrankungen
Die Erwartungsangst tritt zumeist im Rahmen einer generalisierten Angststörung (vgl. generalisierte Angst) oder einer Panikstörung auf. Dabei wird die erste Panikattacke oft als vollkommen unerwartet und deshalb umso verstörender erlebt. Nicht selten sind die Symptome zu diesem Zeitpunkt so intensiv, dass die Betroffenen Todesangst erleben (vgl. Angst vor dem Sterben). In der Folge entsteht der ebenso heftige wie nachvollziehbare Wunsch, ein solches Gefühl nie wieder zu erleben. Gleichzeitig besteht die Angst vor dem Auslöser weiter, ebenso wie zusätzliche Befürchtungen, beispielsweise einen Kontrollverlust betreffend.
In der Folge ergreifen die Erkrankten eine ganze Reihe aus ihrer Sicht sinnvoller Maßnahmen. Das geht von häufigem Aufschiebeverhalten bis hin zur vollständigen Vermeidung tatsächlicher und möglicher Auslösereize (siehe Vermeidungsverhalten bei Angst), die zu einer erneuten Panikattacke führen könnten. Das kann beispielsweise dazu führen, dass bestimmte Situationen oder Orte gemieden werden und im schlimmsten Fall sogar der eigene Wohnbereich nicht mehr oder nur mithilfe intensiver Vorbereitungen verlassen wird. Erwartungsangst, die aus der ständigen Erwartung einer und damit Wachsamkeit vor einer Panikattacke resultiert, führt daher zu einem erheblich erhöhten Stress- und Anspannungspegel beim Betroffenen. Paradoxerweise hat ausgerechnet diese stresserhöhende Angst vor der Angst zur Folge, dass eine Panikattacke deutlich wahrscheinlicher wird.
Hinzu kommt eine übersteigerte Selbstbeobachtung, die sich auf die eigenen körperlichen Signale bezieht. So werden bereits kleinste – und in der Regel vollkommen normale – körperliche Abweichungen wahrgenommen und interpretiert. Reaktionen wie ein leicht erhöhter Herzschlag nach einer Anstrengung, eine andere Atemfrequenz, Unterzucker, Frieren oder Schwitzen werden in diesem Fall als Symptome einer neuen Panikattacke oder auch als Vorboten einer schweren gesundheitlichen Störung bewertet. Auf diese Art wirkt die Erwartungsangst in mehrfacher Hinsicht als Stabilisator der Angsterkrankung und des damit einhergehenden Vermeidungsverhaltens, durch sie wird die Grunderkrankung aufrechterhalten. Eine, teils erhebliche, Einschränkung des Alltags-, Berufs- oder Liebesleben wird hingenommen, um Panikattacken um jeden Preis zu verhindern.
Eine Therapie richtet sich also weniger im engeren Sinne gegen die Angst, sondern lehrt die richtige Relation zu und den richtigen Umgang mit ihr bzw. der Angst vor der Angst. Am Ende sollte die Erkenntnis stehen, dass eine Panikattacke vorübergeht und keine schweren Konsequenzen nach sich zieht, auch wenn sie als extrem beängstigend wahrgenommen wird.
Behandlungsansätze
Die Art der Behandlung hängt von der zugrunde liegenden Erkrankung ab, da Erwartungsangst gewöhnlich nicht allein auftritt. Hier gibt es sehr verschiedene Ansätze.
Grundsätzlich kann eine Beschäftigung mit der eigenen Angsterkrankung bereits sehr hilfreich sein. In erster Linie, weil eine Diagnose ebenso wie der Austausch mit anderen Betroffenen und das Studium von Informationsmaterial positive Auswirkungen haben: Dem Betroffenen wird klar, dass er mit seiner Erkrankung nicht allein ist, zudem wird ihm bewusst, dass ihm trotz der teilweise beeindruckenden Symptomatik keine körperliche Gefahr droht.
Selbsthilfegruppen und Foren können zudem helfen, sich über unterschiedliche Behandlungsmethoden oder Tricks im Umgang mit der eigenen Angst auszutauschen. Diese zu akzeptieren und zumindest temporär als Teil der eigenen Gefühlswelt anzuerkennen, kann ebenfalls nützlich sein. Nicht zuletzt schlagen viele Experten und Selbsthilfeforen ein gezieltes Training des Selbstbewusstseins vor, um den krankhaften Ängsten gestärkter entgegentreten zu können und diese daraufhin mit einer Konfrontationstherapie zu überwinden (siehe auch mangelndes Selbstwertgefühl sowie Ängste verstehen und überwinden). Hilfreich können auch die Informationen aus Broschüren anerkannter Gesundheitsorganisationen oder auf seriösen Internetseiten sein, des Weiteren setzen sich verschiedene Youtube-Videos mit dem Thema auseinander.
Ängste überwinden mit Psychotherapie
Da es sich bei der Erwartungsangst um einen Teil einer Angsterkrankung handelt, richtet sich die Therapie nach dieser zugrunde liegenden Erkrankung. In den allermeisten Fällen wird es sich dabei um eine Verhaltenstherapie mit Elementen der kognitiven Therapie handeln (siehe Psychotherapie-Verfahren). Darin wird versucht, den Patienten kontrolliert mit seinen Ängsten zu konfrontieren und diese zu bearbeiten (vgl. auch kognitive Umstrukturierung). Durch die Reizexposition soll ein Gewöhnungseffekt erreicht werden. Gleichzeitig wird Gedankenmustern (siehe negativ denken) und Verhaltensweisen, die diese begünstigen oder aufrechterhalten, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Zu diesen zählen Erwartungsängste.
Des Weiteren können verschiedene Entspannungsmethoden angewandt werden, um den Umgang mit der Angst, der Angst vor der Angst zu verbessern, indem das Stressniveau des Betroffenen methodisch reduziert wird.
Gelegentlich werden auch analytische und tiefenpsychologische Ansätze zu Rate gezogen, um der Ursache der Angsterkrankung auf den Grund zu gehen und diese zu beheben – jedoch zeigen diese Methoden nicht immer den gewünschten Erfolg. Das liegt zum einen daran, dass nicht in jedem Fall ein konkreter Grund identifiziert werden kann, zum anderen auch daran, dass allein aufgrund der Kenntnis der Ursache nicht automatisch eine Reduktion der Angst vor der Angst und der Symptomatik der Erwartungsangst erreicht werden kann.
Nicht jeder Patient spricht gleichermaßen gut auf eine Therapieform an und auch das persönliche Verhältnis zwischen Therapeut und Behandeltem spielt eine Rolle. Es ist deshalb möglich, dass eine Therapie zunächst scheitert. Das heißt jedoch nicht in jedem Fall, dass eine Therapie generell erfolglos bleiben muss. Betroffene sollten sich daher nicht scheuen, einen weiteren Versuch zu unternehmen und dem Therapeuten idealerweise die Inhalte und Techniken der vorangegangenen Behandlung zuvor zu beschreiben, damit sich dieser darauf einstellen kann. Unter Umständen kann es notwendig sein, eine Angststörung mehrfach zu behandeln, um sie endgültig zu besiegen.
Medikamente im Kontext der Behandlung von Ängsten
Der Einsatz von Medikamenten bei der Behandlung von Erwartungsangst ist aus verschiedenen Gründen nicht unumstritten. Abgesehen von der Gefahr der starken körperlichen Abhängigkeit, die mit dem Langzeitkonsum bestimmter Präparate wie Benzodiazepine oder Cyclopyrrolone (Schlafmittel) einhergeht, ist es bei bestimmten Mitteln vor allem die psychische Abhängigkeit, die gegen eine Verwendung spricht. Unter Umständen kann bei den Betroffenen der Eindruck entstehen, dass sie ausschließlich durch den Konsum der Medikamente gesund und fähig sind, ihr Alltagsleben zu bewältigen. Das führt nicht nur zu einer Vermeidung der Behandlung der eigentlichen Erkrankung, sondern auch zu einem zusätzlichen Faktor für Erwartungsängste: Die Furcht bezieht sich dann darauf, einmal keine Medikamente zur Hand zu haben und damit den Angstanfällen scheinbar wehrlos ausgeliefert zu sein. Im schlimmsten Fall kann das Haus ohne die Tabletten nicht mehr verlassen werden, ihr Vorhandensein und Bestand wird ständig kontrolliert.
Andererseits kann es die Schwere der Angsterkrankung notwendig machen, Medikamente einzusetzen, um überhaupt erst eine Therapiefähigkeit zu erreichen. Diese werden zumeist nur für relativ kurze Dauer verabreicht, um eine Stabilisierung und die Beschäftigung mit der eigentlichen Angsterkrankung zu ermöglichen. Dies gilt speziell dann, wenn eine Komorbidität vorliegt, beispielsweise mit Depressionen (vgl. depressive Episode).
Angst vor der Angst:
Quellen und weiterführende Ressourcen:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Generalisierte_Angststörung#Entstehung_und_Aufrechterhaltung
- https://www.psychic.de/angst-vor-der-angst.php
- https://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-who/kodesuche/onlinefassungen/htmlamtl2016/index.htm