Was heißt es für Betroffene, wenn der Arzt die Diagnose F40.1 oder F40.1g (ICD 10) auf die Krankschreibung schreibt? Wie geht es dann weiter?
Definition und Diagnose
- Im ICD 10 (International Classification of Diseases in der 10. Revision) werden mit dem Code F40 Phobien bezeichnet. Eine Phobie ist Angst, die in ganz bestimmten, objektiv ungefährlichen, Situationen auftritt (Phobien Definition). Die Betroffenen wissen, dass ihre Angst übertrieben oder irrational ist. Da die gefürchteten Situationen vermieden werden, verstärkt sich die Angst (Teufelskreis der Angst / Angstspirale).
- F40/1 bezeichnet die soziale Phobie: die übertriebene Angst vor der Bewertung durch andere. Personen, die an sozialer Phobie leiden, haben Angst, sich gegenüber anderen peinlich zu verhalten, negativ bewertet oder abgelehnt zu werden. Diese Angst tritt entweder in einer ganz bestimmten sozialen Situation auf oder in mehreren. Die Angst wird als sehr intensiv empfunden und kann auch zu Panikattacken führen. (Wittchen & Hoyer, 2011; Woher kommen Panikattacken?)
- Grundsätzlich ist die Angst, von anderen schlecht bewertet zu werden, etwas Normales. Bei manchen Menschen ist sie stärker, bei anderen weniger stark ausgeprägt. Auch introvertierte oder schüchterne Menschen tun sich im Umgang mit anderen oft schwer, sind gehemmt oder ängstlich, wenn sie im Mittelpunkt stehen. Von einer sozialen Phobie spricht man erst, wenn die Angst das Leben der Betroffenen stark beeinträchtigt.
- Schüchterne Menschen benötigen in der Regel nur etwas Zeit, um sich an die Situation zu gewöhnen und sich dann zu entspannen. Menschen mit sozialer Phobie bewerten sich selbst und ihre Leistungen sehr schlecht. Das heißt, die Belastung hält noch an, nachdem die gefürchtete Situation schon vorbei ist. Die körperlichen Symptome der Angst, wie Zittern, Erröten oder Schweißausbrüche, machen die Situation noch unangenehmer. Da die Betroffenen ihre Aufmerksamkeit sehr stark auf sich selbst richten, fühlen sie sich durch die Symptome noch unzulänglicher.
- Die Diagnose erfolgt durch standardisierte Fragebögen, zum Beispiel das „Strukturierte Klinische Interview für Psychische Störungen – Achse I (SKID-I)“. Für eine genauere Diagnose werden zusätzliche Fragebögen verwendet, wie die „Social Phobia Scale“, mit denen das Ausmaß der sozialen Phobie gemessen wird. (Wittchen & Hoyer, 2011 F401g)
Ursachen
- Die Ursachen von sozialer Phobie nach F 40.1 können in der Familie liegen. Kinder von sozialphobischen Eltern sind besonders gefährdet, selbst soziale Ängste zu entwickeln. Aber auch andere psychische Erkrankungen der Eltern können bei deren Kindern eine Sozialphobie bewirken. Auch starker Leistungsdruck und übermäßige Kritik vonseiten der Eltern sind eine mögliche Ursache, vor allem in Kombination mit Überbehütung. (Wittchen & Hoyer, 2011) Ausgrenzung und Mobbing im Kindes- und Jugendalter können ebenfalls zur Entwicklung einer sozialen Phobie beitragen.
- Sozialphobiker leiden an geringem Selbstwert und Minderwertigkeitsgefühlen. Der geringe Selbstwert und die negative Sichtweise von sich selbst führen zu Versagensängsten und dazu, dass die Betroffenen denken, dass sie auch von anderen negativ bewertet werden. Auch glauben sie, dass sie von anderen viel mehr Aufmerksamkeit erhalten, als es in Wirklichkeit der Fall ist (Spotlight-Effekt).
F40.1 – Die Auswirkungen…
- Die soziale Phobie hat erhebliche Auswirkungen auf die Betroffenen. Durch die Vermeidung von Bewertungssituationen kommt es häufig zu Problemen in Ausbildung und Beruf (siehe auch Angst vor Arbeitswelt). Die Folgen können Schulabbruch und Arbeitslosigkeit sein. Vermeidung von privaten Kontakten oder Rückzug aus Freundschaften (sozialer Rückzug) führt zu Einsamkeit. Oft trauen sich die Betroffenen auch nicht, über ihr Problem zu sprechen und bekommen so nicht die Behandlung, die sie benötigen. Für das Umfeld ist es schwierig, das Problem wahrzunehmen, da Menschen mit sozialer Phobie besonders darauf achten, nicht aufzufallen.
- Tritt die soziale Phobie schon in jungen Jahren auf, kann es sein, dass wichtige soziale Fähigkeiten nicht gelernt werden. Im Bemühen, die Symptome der Phobie zu lindern, entwickeln viele Betroffene auch Alkohol- oder Medikamentensucht. Auch eine Depression kann sich als Folge der sozialen Phobie entwickeln.
F40.1g – Möglichkeiten der Behandlung
- Wie alle Phobien ist auch die soziale Phobie gut therapierbar. Die wichtigsten Therapieformen sind die kognitiv-behaviorale Therapie und das soziale Kompetenztraining. Medikamente, die gegen Depressionen wirken, wie Serotonin-Wiederaufnahmehemmer oder MAO-Hemmer helfen oft auch bei sozialer Phobie. Medikamentöse Therapien sind langfristig nicht empfehlenswert. Sie sind aber dann sinnvoll, wenn als Folge der Sozialphobie Depressionen auftreten.
- Bei einer kognitiv-behavioralen Therapie geht es darum, Gedanken und Überzeugungen zu erkennen, die das Leiden aufrechterhalten und verstärken. Diese Gedanken und Überzeugungen sollen dann durch andere, positivere, ersetzt werden. Dabei ist es aber wichtig, dass die alternativen Gedanken realistisch bleiben und nicht übertrieben positiv sind. Wenn die Betroffenen zum Beispiel vor einem Referat denken: „Ich werde wieder nervös sein, zittern und mich dadurch vor allen blamieren“, können die alternativen Gedanken so aussehen: „Es ist normal, nervös zu sein. Wenn die anderen merken, dass ich zittere, werden sie das nicht besonders schlimm finden.“ Es kann schwierig sein, diese Gedanken zu erkennen, da sie oft nur als kurze Bilder oder Gedankenblitze auftauchen. Die Selbstbeobachtung kann aber mit Vorstellungsübungen und Tagebüchern trainiert werden. Auch das Einüben der alternativen Gedanken und Selbstbilder braucht seine Zeit. (Wittchen & Hoyer, 2011 F401)
- Zur kognitiv-behavioralen Therapie gehört auch die Konfrontation mit Situationen, die Angst auslösen. Dabei werden, schrittweise, immer beängstigendere Situationen aufgesucht. Vor jeder Übung schätzen die Patienten welche Symptome sie in welcher Stärke erleben werden und welche Reaktion sie von anderen Personen erwarten. Während der Übung sollen sie sich auf ihre Angst und die Reaktionen der anderen konzentrieren. Danach wird die Erwartung mit dem tatsächlich Erlebten verglichen. Dabei können auch Videoaufnahmen verwendet werden, die Therapeut und Patient anschließend besprechen. Ziel der Übungen ist es, dass die Angst durch die Gewöhnung kleiner wird.
- Auch das Gruppentraining sozialer Kompetenzen wird häufig angewandt. Dabei werden in der Gruppe verschiedene Situationen durchgespielt. Einmal geht es darum, die eigenen Rechte durchzusetzen, dann lernen die Teilnehmer, ihre Wünsche und Gefühle mitzuteilen, schließlich lernen sie, auch mit Benachteiligungen umzugehen. Alle diese Übungen werden anschließend in der Gruppe besprochen. Allerdings haben nicht alle Patienten mit einer F40.1-Diagnose eine beeinträchtigte Sozialkompetenz. Oft ist es so, dass sie ihre wahre Kompetenz nur nicht zeigen können.
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F401 / F401g – Quellen und weiterführende Ressourcen
- https://next.amboss.com/de/article/kP0mUT#Z4fdfa6b1ecb5e13f4fc373909ab83dc3 (Zugriff am 25.05.2020)
- https://xn--ngste-fra.info/soziale-aengste (Zugriff am 25.05.2020)
- Wittchen, H. U., & Hoyer, J. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (Vol. 1131). Heidelberg: Springer.