Dieser Text klärt die Begriffe Neurotizismus, neurotisches Verhalten sowie neurotische Störung. Was genau sind neurotische Störungen, was gilt als „neurotisch“ bzw. „Neurose“. Lesen Sie selbst!
Neurotisches Verhalten: Was genau ist das? Wie geht man damit um?
Bedeutung – neurotisch sein – im Alltagsleben
Neurotische Verhaltensweisen sind in der Alltagssprache oft gleichbedeutend mit leicht verrücktem, sonderbarem, unangepasstem Verhalten. Als neurotisch Synonyme werden je nach Kontext auch nervenkrank, depressiv, hysterisch oder seelenkrank genutzt, wenngleich auch nicht immer passend.
In der Fachliteratur werden neurotische Störungen durch den Begriff der Störung, die die einzelnen Krankheitsbilder differenzierter benennt, ersetzt und erweitert. Dabei kann die Erkrankung chronisch oder in Phasen verlaufen, die Rückfallgefahr ist hoch. Manche Menschen sind mehr oder weniger neurotisch veranlagt. In der Regel sind Frauen häufiger betroffen als Männer.
Neurotisches Verhalten hat andere Symptome als psychotisches Verhalten.
Abgrenzung Neurose versus Psychose
Neurose und Psychose sind Erkrankungen völlig anderer Art.
Bei der Neurose handelt es sich um eine leichtgradige seelische Erkrankung, eine Art von psychischer Verhaltensstörung, die sich im Verlauf der individuellen Entwicklung gebildet hat und die über einen längeren Zeitraum existiert. Die Betroffenen sind sich ihrer Beeinträchtigung bewusst und leiden unter ihren Symptomen. Ihr Alltags- und Berufsleben kann dadurch empfindlich gestört werden.
Psychosen hingegen gehen mit einer verzerrten Wahrnehmung der Realität einher. Betroffene sind sich ihrer Erkrankung nicht bewusst.
Neurotisch Definition –
der Begriff im Laufe der Zeit
Aus dem Griechischen fast wörtlich übersetzt bedeutet Neurose Nerv und Krankheit. Der Begriff wurde erstmals 1776 von dem schottischen Mediziner und Chemiker William Cullen eingeführt, der damit alle nichtentzündlichen Erkrankungen des Nervensystems einschließlich psychischer Störungen meinte, sofern eine körperliche Problematik ausgeschlossen werden konnte (vgl. auch: Neurasthenie Symptome / Ursachen / Behandlung). Er wollte eine Abgrenzung zum Begriff Neuritis schaffen (siehe Wiki zu Neuritis), der die Entzündung eines Nervs meint.
Allgemeinen Bekanntheitsgrad erreichte der Begriff unter dem Wiener Psychiater Sigmund Freud (siehe Wikipedia zu Sigmund Freud). Er sah in neurotischen Symptomen den Ausdruck eines verdrängten Konflikts aus früher Kindheit oder der Gegenwart, der in der Analyse zum Vorschein kommt und somit geheilt werden kann.
Da sich die Störungen in ihren Symptomen stark unterscheiden, ist der einheitliche Neurosebegriff nicht mehr ausreichend, um alle Beeinträchtigungen zu erfassen. Heute werden nach der ICD-10, der Internationalen Klassifikation von Krankheiten, die sich an Symptomen und Verlauf orientiert, Probleme dieser Art unter dem Oberbegriff „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen“ angeführt. Damit sind alle Formen gemeint der folgenden Arten:
- der Angst- und Panikstörungen (siehe Panik),
- der Zwangsstörungen (siehe Zwangsstörung / Zwangsneurose),
- der Belastungs- und Anpassungsstörungen,
- der dissoziativen und der somatoformen Störungen gemeint.
Begriffe wie Neurose und neurotische Störungen werden weitgehend ausgespart, haben aber in der Praxis und auch in der Alltagssprache immer noch Bedeutung.
Die depressive Neurose als Begriff kommt in dieser Einteilung nicht vor. Hier wird die Depression unter den affektiven Störungen geführt (psychosoziale-gesundheit.net, palverlag.de). Siehe auch: depressive Verstimmung.
Neurotisches Verhalten
Symptome bei Angstneurosen, Zwangsneurosen, hysterische Neurosen und anderen Störungen
Bei Angststörungen, wie bei der generalisierten Angststörung, stehen starke Anspannungen und ständige Nervosität mit einer vegetativen Übererregung im Vordergrund (vgl. vegetatives Nervensystem beruhigen). Die Folge können Depressionen, Substanzmissbrauch, Abhängigkeit von anderen und schließlich Berufsunfähigkeit sein.
Zwangsstörungen zeigen sich in sich ständig aufdrängenden Zwangsvorstellungen und Zwangsgedanken und in bestimmten Zwangshandlungen, die der Betroffene meint ausführen zu müssen. Häufig geht dies mit einer zwanghaften Persönlichkeitsstruktur einher (vgl. Persönlichkeitsstörung), die vom Bestreben nach Kontrolle und Perfektionismus gekennzeichnet ist.
Symptome der hysterischen Neurose – nach dem heutigen Fachbegriff histrionische Persönlichkeitsstörung – sind das Streben nach Geltung und Anerkennung, verbunden mit egozentrischem Verhalten. Oft treten dabei körperliche Symptome wie Bewegungsstörungen und Lähmungen auf. Die Sinnesorgane können bis zu Blind- oder Taubheit beeinträchtigt sein.
Menschen mit schizoiden Störungen sind in sich gekehrt und oft Einzelgänger. Sie zeichnen sich durch eine übermäßige Phantasie aus. Dieses Krankheitsbild gehört zu den neurotischen Störungen und darf nicht mit der Schizophrenie verwechselt werden (siehe Schizophrenie / schizophrene Psychose).
Paranoide Störungen zeigen sich in einem ständigen Misstrauen anderen gegenüber (siehe auch Paranoia Symptome), einer besonderen Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen (siehe auch Angst vor Ablehnung) und einer stark nachtragenden Haltung (paranoide Persönlichkeitsstörung).
Als letztes in der Definition neurotischer Verhaltensweisen sei die Entfremdung, die sogenannte Depersonalisation, genannt, bei der der Betroffene das Gefühl hat, nicht mehr er selbst zu sein. Auch seine Umgebung scheint ihm fremd und unwirklich (meine-gesundheit.de)
Neurose Ursachen
Seelische Störungen können ganz unterschiedliche Ursachen haben. Ein in der Kindheit erlebtes Trauma, ein unverarbeiteter Konflikt kann im Erwachsenenalter zu seelischen Nöten führen. Ebenso kann ein unmittelbar erlebtes Trauma, Konflikte in sozialen Beziehungen oder im Beruf eine psychische Erkrankung hervorrufen. Auch wird in der Medizin eine genetische Komponente diskutiert.
Konflikte oder Traumata führen nicht zwingend zu psychischen Störungen. Manche Menschen sind eher neurotisch veranlagt und reagieren empfindlicher auf negative Situationen oder Umweltereignisse. Oft kommen mehrere Faktoren zusammen und begünstigen das Entstehen einer psychischen Erkrankung.
Neurose Behandlung
Die Behandlung und Therapie neurotischer Störungen richtet sich nach Art der Beeinträchtigung und natürlich auch nach den Auswirkungen, die sie auf die Betroffenen hat. In der Regel hat eine Kombination von Psychotherapie (Verhaltenstherapie), medikamentösen Therapien und psychosensorischen Verfahren einen entscheidenden Erfolg bei der Heilung.
Die Therapie von neurotischen Störungen kann, je nach Ausrichtung des Therapeuten, mehr psychoanalytisch oder mehr nach der kognitiven Verhaltenstherapie ausgerichtet sein (vgl. Psychotherapie Formen / Verfahren).
Nach der Verhaltenstherapie sind seelische Erkrankungen durch Fehlanpassung entstanden. Die auslösenden Faktoren werden dabei als Stressoren bezeichnet. Ihr Ziel ist es, mit diversen Techniken diese Fehlanpassungen aufzulösen, bzw. den Patienten anzuleiten, sein angelerntes Verhalten wieder zu „verlernen“.
Auch Gesprächstherapien (vgl. z.B. die klientenzentrierte Gesprächstherapie) oder körperorientierte Therapien eignen sich zur Bewältigung psychischer Störungen.
Die medikamentöse Behandlung hat dabei vor allem unterstützende Wirkung; sie besteht bei manchen Krankheitsbildern aus der Gabe von Antidepressiva oder Beruhigungsmitteln.
Bei den psychosensorischen Verfahren können unter anderem Klopfmassagen, bei denen die Endpunkte von Energiebahnen im Körper angeregt werden oder das sogenannte EMDR, eine Augenbewegungsdesensibilisierung, zum Einsatz kommen. Diese Maßnahmen lassen sich gut in die psychotherapeutische Behandlung integrieren.
Begriffsklärung Neurotizismus
Neurotizismus ist ein Begriff aus der Persönlichkeitspsychologie, der neben Extraversion, Verträglichkeit, Offenheit und Gewissenhaftigkeit zu den „Big Five“ der Persönlichkeitsmerkmale gehört. Bei diesem anerkannten Modell wird davon ausgegangen, dass sich jeder Mensch mit unterschiedlich hohen Anteilen in die genannten Skalen einordnen lässt. Dabei gibt Neurotizismus den Grad im Erleben negativer Situationen wider.
Menschen mit hohem Wert an Neurotizismus sind ängstlich, labil und sensibel. Sie neigen zu Nervosität, Reizbarkeit und Launenhaftigkeit. Sie sind eher unsicher, schnell verlegen und neigen zu Trauer und Melancholie. Oft geben sie an, dass sie sich ärgern oder ängstigen und klagen über Schmerzen, vorzugsweise Kopf- und Magenschmerzen und Schwindelgefühle. Sie scheinen dauernd unzufrieden, zeigen eine eher negative Affektlage (siehe negative Gefühle) und reagieren sensibel auf jede stressauslösende Situation. Im Unterschied zu emotional stabileren Menschen brauchen sie wesentlich länger, um sich nach Stress oder Ärger wieder zu beruhigen (Wikipedia: Big Five, Psychologie)
Neurotizimus und neurotische Störungen im Berufsleben
Menschen mit einem hohen Neurotizimus-Wert sind eher anfällig für psychische Erkrankungen und Abhängigkeiten. Aufgaben unter hohem Zeitdruck und Stress können sie nicht so gut bewältigen wie stabilere Persönlichkeiten. Auf der anderen Seite zeichnen sie sich durch ihre Kreativität und ihre erhöhte Empfindsamkeit und weitere positive Merkmale aus. Sie sind besonders aufmerksam und lassen sich so schnell nichts vormachen. Sie kennen sich selbst genau und wissen um ihre Schwächen. Allerdings kennen sie auch ihre Stärken und können sie geschickt einsetzen.
Sie sind manchmal ein wenig schlauer als andere. Da sie sich ständig mit ihren Sorgen beschäftigen, ist ihr Gehirn auch ständig in Arbeit, so zumindest erklären es die Forscher. Diese Art von Gehirntraining hält ihre Intelligenz wach.
Nicht immer lassen sie sich von ihren Ängsten und Sorgen lähmen, sondern verstehen es, sie geschickt einzusetzen. So bereiten sie sich auf Prüfungen, vor denen sie besonders Angst haben, auch besonders gründlich vor und haben so Erfolg.
Sie verstehen aus ihrem Eigenerleben andere Menschen und ihre Sorgen und Nöte besser und sind von daher ihnen gegenüber auch sehr fürsorglich und hilfsbereit.
Da sie viel grübeln, denken sie auch über Entscheidungen lange nach und handeln selten spontan. Sie planen auf lange Sicht und treffen von daher seltener Fehlentscheidungen (karrierebibel.de).
Für diese Menschen sind kreative Berufe und Aufgaben oder Berufe, die ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen verlangen, geeignet. Auch in Tätigkeitsfeldern mit klaren Strukturen kommen sie sehr gut zurecht (career-test.de)
Persönlichkeitstests
Mit dem Big-Five-Persönlichkeitstest, dem 16-Faktoren-Persönlichkeitstest und dem sogenannten NEOFFI, dem Neo-5-Faktoren-Inventar lässt sich die Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale feststellen. Diese Tests können auch im Selbsttest durchgeführt werden.
Der Big-Five-Persönlichkeitstest (B5T) stellt die fünf grundlegenden Persönlichkeitsdimensionen aus der Psychologie und die drei Grundmotive Leistung, Macht und Sicherheit fest.
Er wird in der Persönlichkeitsdiagnostik, im Online-Recruitment und in der Managerdiagnostik eingesetzt und gilt heute als das Messinstrument, das vorzugsweise eingesetzt wird.
Der 16-Faktoren-Persönlichkeitstest wurde in den 1950er Jahren entwickelt und war der erste moderne Persönlichkeitstest. Mit seinem umfangreichen Persönlichkeitsprofil wurde er in vielen Bereichen verwendet. Heute gilt er als veraltet und wird vom B5T abgelöst.
Mit dem 16-Faktoren-Persönlichkeitstest können Unterschiede in der Persönlichkeit festgestellt werden. Er gilt als Standardverfahren in der Wissenschaft. Allerdings beschreibt er nur den sichtbaren Teil der Persönlichkeit und hat wenig Bezug zur modernen Arbeitswelt.
Neurotische Störung | Mehr bei YouTube:
- Unter dem Stichwort „Umgang mit Neurosen“ finden sich verschiedene Videos, die Erklärungen und Hilfen zu verschiedenen Krankheitsbildern anbieten.
- Besonders für den Umgang mit Menschen, die sich gerne profilieren, eignet sich das Video: Profilneurose.
- Gegen Angst, Depression und Burnout werden verschiedene Entspannungs-Reisen angeboten.