Prüfungsangst: Woher kommt sie und was hilft?
Fast jeder Mensch fühlt sich vor wichtigen Prüfungen unsicher oder angespannt. Echte Prüfungsangst geht jedoch noch viel weiter. Betroffene leiden unter starken körperlichen Symptomen oder manövrieren sich direkt in einen geistigen Blackout. Durch Angstsymptome und Panik kann die Prüfung wirklich in Gefahr sein. Betroffene müssen sich vor dem großen Tag um sich selbst kümmern und für ausreichend Ruhe und langfristige Abhilfe sorgen.
Die Hintergründe der Prüfungsangst
Bei einer Prüfung müssen wir etwas zeigen oder beweisen. Die Natur der Prüfung gleicht einer Herausforderung oder Hürde im Leben. Neu erlerntes Wissen oder die eigenen Fähigkeiten und Talente müssen unter Beweis gestellt werden. Nicht selten geschieht dies vor einer größeren Menschengruppe, vor als „streng“ empfundenen Personen oder Fremden.
Bei vielen Prüfungen kommt neben der sozialen und sachlichen Belastung noch der Zeitdruck dazu.
Schaut man sich die Prüfungsangst genauer an, verbergen sich dahinter eine ganze Reihe weiterer Ängste:
• Angst zu versagen (siehe: Versagensangst)
• Angst, nicht gut genug zu sein.
• Angst, bloßgestellt zu werden.
• Angst, sich selbst zu verlieren (Blackout).
• Angst, nicht genug getan zu haben.
• Angst, nicht genug Zeit zu haben.
• Angst vor Kontrollverlust.
• Angst vor dem Unbekannten.
• Angst vor der eigenen Größe und Bewunderung durch andere.
• Angst vor fremden Menschen oder bei Frauen auch vor Männern/Prüfern (vgl. Androphobie).
• Angst Angehörige, Lehrer oder Ausbilder zu enttäuschen
• Soziale Ängste und Phobien (vgl. Angst vor sozialer Interaktion).
Diese Zusammenhänge zeigen sehr gut, dass es bei der Prüfungsangst um weit mehr geht, als „nur“ nicht genug gelernt zu haben oder vielleicht das gefragte Können oder Talent nicht zu besitzen.
Starke Ängste können dazu beitragen, dass selbst die Besten hinter ihren Möglichkeiten zurückbleiben oder talentierte Menschen bei Prüfungen versagen. Ein deutliches Zeichen für Manipulationen dieser Art ist, wenn Wissen und Können außerhalb der Prüfung jederzeit abrufbar sind, sicher sitzen und die Prüflinge an sich sonst auch gute kommunikative Fähigkeiten beweisen. In der Prüfungssituation und kurz davor nehmen die Leistungen dann aber deutlich ab.
Wie kann man Prüfungsangst überwinden?!
Die Ursachen von Prüfungsängsten
Der eigentliche Auslöser ist nicht immer sofort erkennbar. Betroffen sind Menschen allen Alters- und aller Ausbildungsstufen. Selbst Profis im Showbusiness kennen Lampenfieber. Dessen „Behandlung“ ähneln den Wegen, wie man Prüfungsangst überwinden will.
Als Ursachen oder Auslöser von Prüfungsangst kommen verschiedene Aspekte in Frage:
- Die Unsicherheit ist aus der Familie übernommen (vgl. unsicher vermeidende Persönlichkeit) und von Vater oder Mutter vorgelebt worden.
- Aus einem traumatischen Erlebnis entwickeln sich ein permanentes Vermeidungsverhalten und eine chronische Angst (z. B. Schüler lachen, wenn jemand etwas Falsches sagt).
- Übernommene gesellschaftliche Muster und Vorstellungen (häufig: Angst vor der Fahrprüfung).
- Eine insgesamt introvertierte (vgl. introvertiert Definition), instabile oder emotional leicht zu verunsichernde Persönlichkeit (vgl.: kein Selbstbewusstsein).
- Tief sitzende Überzeugungen, dass Versagen in dieser Welt wahrscheinlicher ist, als Erfolg (Zweifel).
- Negative Erfahrungen mit Autoritäten, Frauen oder Männern (Eltern, Lehrer, Beamte usw.)
- Versteckte Schuldgefühle.
Symptome: So zeigt sich eine Prüfungsangst
Betroffene kennen diese Abläufe: Alleine beim Gedanken an eine Prüfung empfinden sie ein mulmiges Gefühl. Statt Sicherheit und Freude, ein Examen ablegen zu dürfen oder das eigene Können unter Beweis stellen zu können, tauchen Ängste und Zweifel auf.
Je näher die Prüfung rückt, umso stärker werden die Symptome:
• Nervosität
• emotionaler Druck
• Anspannung
• Schweißausbrüche
• Stress
• Panik
• flacher Atem
• Horrorszenarien vor dem geistigen Auge.
Die Anzeichen treten vor allem dann auf, wenn Betroffene die Prüfung geistig simulieren, in Gedanken durchspielen oder darauf angesprochen werden – siehe auch diesen Artikel mit entsprechenden Tipps.
In schweren Fällen steigern sich die Anzeichen bis hin zu heftigen körperlichen Reaktionen:
• Übelkeit
• Blackouts
• Schwindel
• Herzrasen
• Panikattacken mit Fluchttendenz oder autoaggressivem Verhalten.
Angst und die Funktionsweise des Gehirns
Bei Angststörungen und Panikattacken haben Betroffene ein ganz bestimmtes Szenario im Kopf. Dessen genaue Ausprägung und Ursache muss nicht immer bekannt oder bewusst wahrnehmbar sein. Diese inneren Bilder können Archetypen des Versagens, eine persönliche Erinnerung oder aus den Medien und Fernsehen übernommene Bilder sein.
Die Person identifiziert sich im Moment der Attacke voll und ganz mit dem Schreckensbild. Im Kopf läuft ein Prozess ab, den man als „Amygdala Hijack“ bezeichnet.
Empfinden Menschen eine innere Bedrohung durch eine Prüfung oder Versagensängste, wird das Flucht- und Kampf-Zentrum im limbischen System aktiviert. Dieser Teil des Gehirns kann nicht unterscheiden, ob eine Bedrohung tatsächlich vorhanden oder nur eingebildet ist. Folglich wird auch bei geistigen Horrorszenarien eine Kampf- oder Fluchtreaktion eingeleitet: Die Atemfrequenz erhöht sich, Schweiß bricht aus, das Blut schießt in den Kopf und der Körper steht unter Anspannung.
Können Betroffene weder kämpfen noch fliehen, kann der Prozess zu einer chronischen und belastenden Nervosität oder emotionalem Dauerstress führen.
Die Amygdala ist ein kleines Teil des Gehirns, der damit zu tun hat, wie wir Emotionen verarbeiten und welche inneren Bilder wir zu bestimmten Situationen abrufen möchten. Sie ist eng mit dem Schmerzgedächtnis verbunden und bei erlebten Traumata oder in Stresssituationen aktiv.
Der positive Gegenspieler der Amygdala ist der rational und kreativ denkenden Teile des Gehirns. Die Botschaft des Frontalkortex könnte, „Es gibt eine rationale/ruhige Lösung für das (eigentliche) Problem“, lauten. Vor allem in Fällen, in denen die Bedrohung nicht real, sondern nur simuliert oder eingebildet ist, sollten wir eigentlich dieses Hirnareal nutzen.
Liegt eine Angststörung vor, gibt es allerdings eine feste Datenautobahn von der Sinneswahrnehmung hin zum Stress- und Angstzentrum sowie zum Schmerzgedächtnis.
Die Angst vor der Prüfungssituation überwinden
Wichtig ist es, den Kreislauf aus Projektion, Stimulation und Angst zu kennen. Macht sich ein Betroffener diesen Zusammenhang bewusst, ist schon eine neue Information im Spiel, die dabei hilft, die Angst zu überwinden.
Betroffene von leichter bis mittelschwerer Prüfungsangst müssen zunächst den Kreislauf der Projektion und Angstreaktion unterbrechen. Dazu eignet sich eine ganze Reihe von Entspannungstechniken und Bewusstwerdungsübungen:
- Atemübungen zur Beruhigung
- Achtsamkeit
- Gedanken-Kontrolle
- die Arbeit mit inneren Bildern
- progressive Muskelentspannung
- Entspannungsmusik
- ein Gespräch mit einem liebenden und verständnisvollen Menschen
- ausreichend Schlaf und Ruhezeiten
- lernen in angenehmer und konstruktiver Umgebung (auch mit Musik)
- ein fester Lernplan mit ausreichend Erholungszeiten.
Zeigt sich die Angst, kann alleine die Verlangsamung der Atemfrequenz den Hijack und die damit verbundene Panikreaktion verhindern. Ein langsamer und bewusster Atem sendet dem Körper immer das Signal: „Es ist alles in Ordnung“.
Um den kreativen Kortex besser zu nutzen, hilft die Aktivierung der Fantasie und Gefühlswelt. Durch Selbstbefragungstechniken können andere Emotionen und damit innere Bilder kreiert werden.
- Wie würde es sich anfühlen, die Angst zu überwinden?
- Wie würde es sich anfühlen, die Prüfung zu bestehen?
- Wie würde es sich anfühlen, einfach ich selbst zu sein?
Nach der Frage sucht der Kreativ-Teil des Gehirns nach einer Antwort und generiert ein wahrnehmbares inneres Gefühl. Sensible Personen nehmen das schneller wahr. Andere müssen sich in der Selbstwahrnehmung üben. Das ist aber gleich eine wunderbar effektive Art, diffusen oder unbewusst ablaufenden Ängsten zu überwinden und mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln.
Mit der Zeit lernt das Gehirn sogar auf Trigger wie „Prüfung“, „Zeitlimit“, „Können beweisen“ oder „die eigene Persönlichkeit darstellen“ mit einer völlig neuen kreativen Reaktionskette zu reagieren. Die Angst ist besiegt.
Bis sich neue neuronale Schaltkreise im Gehirn etablieren, ist etwas Geduld gefragt. Je nachdem, wie lange und oft die alte Angst-Verbindung genutzt wurde vergehen einige Monate bis Jahre.
Prüfungsangst mit pflanzlichen Mitteln überwinden
Bei Prüfungsangst und Prüfungsstress haben sich einige pflanzliche Mittel bewährt. Die Klassiker sind baldrianhaltige Produkte, die es als Kapseln oder Tinkturen in der Apotheke oder in der Drogerie zu kaufen gibt (vgl: Baldrian Wirkung Psyche). Eine Alternative ist Hopfen, der häufig in Kombination mit Baldrian angeboten wird (vgl. Hopfen Kapseln Wirkung).
Ein anderes für manche Menschen bewährtes Mittel ist die Bachblüten-Mischung „Rescue Remedy“ (siehe: Rescue Tropfen bei Angstzuständen). Die Produkte sind auf dem deutschen Markt auch unter dem Namen „Notfall Tropfen“ erhältlich. Die Tropfen oder Lutschpastillen enthalten Blütenessenzen, die eine ausgleichende Wirkung auf die Psyche haben.
Ein derzeit immer beliebter werdendes pflanzliches Mittel zur Beruhigung ist das Cannabinoid Cannabidiol (kurz CBD). Die Substanz aus Nutzhanf ist in der Lage, Stressreaktionen abzumildern und den Körper augenblicklich zu entspannen. Ganz anders als das Rauschmittel THC wirkt CBD weder psychoaktiv noch betäubend. Die Produkte gibt es als Tropfen, Kapseln oder Kaugummis.
Prüfungsangst überwinden mit Medikamenten?!
Nur im Ausnahmefall: Hilfe durch Medikamente
Bei schlimmer Panik und Stress vor einer Prüfung können Medikamente vom Arzt eine vorübergehende oder kurzfristige Lösung sein.
Doch hier ist Vorsicht angezeigt. Die meisten pharmazeutischen Beruhigungsmittel haben Nebenwirkungen wie Einschränkungen der Motorik, der Sehfähigkeit, Leistungsbereitschaft oder Denkfähigkeit.
Beruhigende Medikamente dürfen also nur in der Prüfungsvorbereitung und unter bestimmten Umständen eingenommen werden. Ist die Prüfungsangst von Dauer oder kommen die Situationen öfter vor, muss der Zustand mit einem professionellen Therapeuten bearbeitet werden (Therapeuten Arten).
Siehe auch:
Was kann man gegen Prüfungsangst machen?
Hilfe im Notfall: Denkblockaden und Blackouts während der Prüfung überwinden
Für einen Menschen mit Prüfungsangst gibt es nichts Schlimmeres: Der Tag der Prüfung ist da, der Aufgabenbogen liegt auf dem Tisch, der Prüfer stellt eine Frage oder die Jury schaut erwartungsvoll.
Dann passiert genau das, wofür sich die Person gefürchtet hat. Das System bricht kurz zusammen, der Geist erleidet einen Blackout, der Denkfluss ist unterbrochen, die gelernten Informationen sind nicht mehr abrufbar oder der Körper verliert jede Kraft und Bewegungsfähigkeit.
In diesem Notfall helfen diese Tipps, um die akute Angst zu überwinden:
- Innehalten.
- Atmen!
- Den eigenen Körper und die Situation bewusst wahrnehmen (auch fühlen).
- Hände und Füße lockern.
- Loslassen, entspannen und warten.
Die volle Bewusstheit und der Denkfluss setzen normalerweise nach wenigen Augenblicken wieder ein.
Schiebt sich ein neuer Hijack dazwischen, helfen diese Tipps:
- Aufstehen und/oder Strecken.
- Ein paar Schritte gehen.
- Ein Glas Wasser trinken.
- Eine kleine Pause machen.
- Die Aufmerksamkeit auf etwas richten, das nichts mit der Prüfungssituation zu tun hat
- Gedanken willkürlich schweifen lassen.
- Die Prüfer informieren und um eine Pause bitten.
Schwere Prüfungsangst vom Therapeuten behandeln lassen
Bei andauernden schweren Angst- und Panikzuständen in Verbindung mit Prüfungen und Examen, hilft nur eine professionelle Therapie.
Während einer Psychotherapie oder Psychoanalyse werden Ursachen geklärt und neue Verhaltensweisen etabliert. Die Psychoanalyse möchte bevorzugt die unbewussten Zusammenhänge und Ursachen einer Angststörung an die Oberfläche bringen (siehe auch: analytische Psychotherapie).
Psychotherapie im Schwerpunkt von Verhaltenstherapie orientiert sich mehr am Istzustand, setzt konkrete Lösungsziele und beschäftigt sich mit der Einrichtung neuer Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster.
Weitere Therapieformen, die bei Angst vor Prüfungssituationen erfolgreich angewendet werden, sind:
• Hypnosetherapie
• kognitive Verhaltenstherapie (KVT)
• EMDR Traumatherapie.
Sonderfall Lampenfieber
Im Englischen nennt man Lampenfieber „performance anxiety“, also die Angst vor der Selbstdarstellung oder dem öffentlichen Auftritt.
Der Begriff wird vor allem rund um das Künstler-Metier vor Bühnenauftritten, der Performance vor Publikum, bei Auftritten mit einem Mikrofon oder vor einer Fernsehkamera genutzt.
Das Phänomen zeigt sich aber auch rund um Prüfungen, Vorstellungsgespräche, Vorträge oder bei der Teilnahme an Wettbewerben aller Art.
Mit dem Lampenfieber sind diese Aspekte und Ängste verbunden:
• Sprechangst
• Kamera- und Mikrofonangst
• Vorstartangst bei Sportlern
• Angst vor Menschenmengen/Publikum
• Probleme mit Konkurrenzsituationen
• Ängste, nicht geliebt zu werden.
Alle bereits genannten Symptome, Zusammenhänge, Vorgehensweisen und Tipps gelten auch für das Lampenfieber. Insbesondere Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen oder viel „gesehen“ werden, sollten Lampenfieber behandeln lassen, wenn es von Dauer ist.