Auch wenn die Behandlung von Angsterkrankungen eine Domäne der Psychotherapie ist, kann es unter bestimmten Umständen sinnvoll sein, mit dem Patienten den vorübergehenden Einsatz von Medikamenten zu besprechen. Dazu gehören fortgeschrittene Angststörungen, die beispielsweise einen Arztbesuch zu einem Kraftakt werden lassen, da der Betroffene kaum noch das Haus verlassen kann oder er ansonsten für eine gezielte Psychotherapie zunächst nicht zugänglich ist. Eine vorübergehende medikamentöse Behandlung kann also dem Patienten helfen, eine Psychotherapie erfolgreich zu durchlaufen (vgl. Angststörungen Therapie). Auch die bei Angsterkrankungen häufig anzutreffenden Komorbiditäten – allen voran die Depression – kann den Einsatz von Medikamenten rechtfertigen.
Die medikamentöse Therapie von Angsterkrankungen hat seit den 1950er Jahren große Fortschritte gemacht hat und so steht mittlerweile eine ganze Reihe von Wirkstoffen und Substanzen zur Verfügung, die Angstpatienten das Leben erträglicher machen können. Eine dauerhafte Heilung von Angsterkrankungen kann jedoch nicht von einer ausschließlichen Pharmakotherapie erwartet werden. Werden die Medikamente abgesetzt, kommt es bei einem Großteil der Patienten zu einem erneuten Auftreten der Angstsymptome (siehe auch den Artikel Ängste bewältigen).
Die besten Behandlungsergebnisse bei der Therapie von Angsterkrankungen werden mit der Kombination von Psychopharmaka und Verhaltenstherapie erzielt. Bei vielen psychischen Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen liegt häufig ein Mangel an Botenstoffen vor, insbesondere des Botenstoffs Serotonin. Ziel der medikamentösen Behandlung ist die Normalisierung von Funktionsstörungen im Gehirn, die auf eine Störung im Botenstoffwechsel zurückzuführen sind.
Die Befürchtung vieler Patienten, unter der Behandlung mit Psychopharmaka komme es zu Persönlichkeitsänderungen, ist ebenso unbegründet wie die Angst vor eine Abhängigkeit. Mit Ausnahme der Benzodiazepine führen die im Folgenden aufgeführten Medikamente auch bei längerer Einnahme zu keiner Abhängigkeit.
Prinzipien der Psychopharmkatherapie bei Angsterkrankungen
Neben der Aufklärung über die Angsterkrankung gehört es zur Aufgabe des behandelnden Arztes, den Patienten auch über die evtl. Unterstützung der Behandlung mit Medikamenten zu informieren. Viele Angstpatienten stehen der Behandlung mit Psychopharmaka skeptisch gegenüber und befürchten Nebenwirkungen und Abhängigkeitsentwicklung, auch bei Wirkstoffen, die überhaupt kein Suchtpotenzial besitzen. Eine gute Informationsübermittlung ist somit das A und O einer medikamentösen Behandlung und unterstützt den Therapieerfolg.
Die Behandlung von Angsterkrankungen mit Psychopharmaka kann sich je nach Komplexität und Schwere der Erkrankung in drei Phasen gliedern:
- Phase I: Sie stellt die Akutphase der Erkrankung dar, in der der Patient unter deutlicher Anspannung steht, so dass in dieser Phase angstlösende Präparate wie Benzodiazepine erforderlich sind.
- Phase II: Nach der Stabilisierung erfolgt die Erhaltungstherapie, die sich auf die Gabe von Antidepressiva stützt und ein langsames Ausschleichen des Benzodiazepins ermöglicht. Da Antidepressiva in der Regel eine gewisse Anlaufzeit bis zur Wirksamkeit benötigen, ist es sinnvoll, bereits in Phase I mit der Einnahme zu beginnen, d.h. Benzodiazepin und Antidepressivum zu kombinieren.
- Phase III: In dieser Phase wird zur Vorbeugung von Rückfällen ein Antidepressivum in niederiger Dosierung eingenommen. Die Dauer der Pharmakotherapie beschränkt sich häufig auf nur wenige Monate, gelegentlich können aber auch Langzeittherapien erforderlich sein wie z. B. bei der generalisierten Angststörung, bei der nach einer mindestens einjährigen Pharmakotherapie das Medikament langsam ausgeschlichen werden kann. Tritt dann erneut eine Angstproblematik auf, muss über einen längeren Zeitraum weiter behandelt werden.
Wirkstoffe in der Pharmakotherapie von Angsterkrankungen
Im Wesentlichen können für die Behandlung von Angsterkrankungen folgende Medikamente eingesetzt werden:
- Benzodiazepine,
- Antidepressiva,
- Antipsychotika,
- Antikonvulsiva.
Benzodiazepine
Benzodiazepine wie Alprazolam, Lorazepam und Diazepam wirken in erster Linie anxiolytisch (angstlösend) und sedierend (zentral dämpfend, beruhigend). Ihre hervorstechendste Eigenschaft ist der rasche angstlösende Effekt, der sich bereits 20 Minuten nach der Einnahme bemerkbar macht, wobei die Wirkung auf körperliche Angstsymptome wie Pulsrasen, Schwitzen und Schwindel stärker ausgeprägt ist als auf die psychischen Angstsymptome. Auch Schlafstörungen können gut mit Benzodiazepinen behandelt werden. Wegen ihrer zentral dämpfenden Wirkung kann es zu Schläfrigkeit und verlängerter Reaktionszeit kommen, sodass die Fahrtauglichkeit unter der Einnahme eingeschränkt ist.
Die Medikamentengruppe der Benzodiazepine sollte nur bei Patienten mit ausgeprägten Angststörungen angewendet werden, da sie bei Angstpatienten zu einer psychischen Abhängigkeit führen können, weshalb die Verschreibung von Benzodiazepinen zurückhaltend und nur kurzfristig erfolgen sollte. Meist dienen sie der Überbrückung bis zum Einsetzen der Langzeitwirkung von Antidepressiva (Übergang von Phase I zu Phase II, s. o.). Beide Wirkstoffgruppen – Benzodiazepine und Antidepressiva – werden häufig kombiniert verschrieben, damit die Einnahme von Benzodiazepinen möglichst rasch beendet werden kann. Ein weiterer Vorteil der Wirkstoffkombination ist, das Benzodiazepine die zu Beginn einer Antidepressiva-Einnahme auftretenden möglichen Nebenwirkungen wie Unruhe (siehe innerliche Unruhe) und vorübergehende Angstzunahme überdeckt. Eine kognitive Verhaltenstherapie, mit der möglichst frühzeitig nach Diagnosestellung einer Angststörung begonnen werden sollte, erleichtert das Absetzen der Benzodiazepine (siehe auch Psychopharmaka absetzen).
Antidepressiva
Antidepressiva werden nicht nur zur Behandlung von Depressionen verschrieben. Bereits lange Zeit bekannt ist das gute Ansprechen des Antidepressivums Imipramin (siehe Imipramin Wirkung) bei der Behandlung von Panikattacken. Durch die Einführung moderner Antidepressiva mit überschaubarem Nebenwirkungsprofil (siehe neue Antidepressiva) gehören sie mittlerweile zur medikamentösen Standardbehandlung auch bei Angsterkrankungen und Zwangsstörungen.
Unterschieden werden drei verschiedene Wirksubstanzen, SSRI, SSNRI und TZA, die in den Botenstoffwechsel unseres Nervensystems eingreifen. Nervenzellen kommunizieren miteinander, indem sie mithilfe von Botenstoffen Erregungen weiterleiten. Zu diesen Botenstoffen gehören u. a. das Serotonin und das Noradrenalin. Die Nervenzelle, die eine Erregung weiterleiten möchte, schüttet den Botenstoff in den sog. synaptischen Spalt zwischen ihr und der benachbarten Zelle aus, an deren Rezeptoren die Botenstoffmoleküle andocken können, wodurch die Zelle die Nachricht der Nachbarzelle erhalten hat. Die Nervenzelle, die den Botenstoff in den synaptischen Spalt abgegeben hat, kann die Botenstoffmoleküle allerdings auch recyceln, indem sie sie wieder aufnimmt, wodurch er für die Erregung der Nachbarzelle nicht mehr zur Verfügung steht.
Da bei vielen psychischen Erkrankungen ein Zuwenig an Botenstoff im synaptischen Spalt vorhanden ist (z.B. Serotoninmangel), um Erregungen weiterzuleiten, hat man Medikamente entwickelt, die den Recyclingprozess blockieren, sodass die Konzentration an Botenstoff im synaptischen Spalt erhöht wird, wodurch der Informationsfluss zwischen den Nervenzellen wieder einwandfrei funktioniert und die Symptome von Depressionen, Zwangsstörungen, Phobien, generalisierten Angststörungen usw. unterdrückt werden. Entsprechend heißen die Medikamente „selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer“ (SSRI) oder „selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer“ (SSNRI), wobei das „RI“ für „Reuptake Inhibitor“ steht. Eine Untergruppe der SSNRI sind die trizyklischen Antidepressiva, die mit TZA abgekürzt werden.
Selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI)
Zu den in Deutschland zugelassenen SSRI-Wirkstoffen gehören u. a.:
- Citalopram, z. B. Cipramil®, Citalon®, Citalopram beta®, Citalopram Hennig®,
- Fluoxetin, z. B. Fluxetin beta®, Fluoxetin-ratiopharm®, Fluexet®,
- Fluvoxamin, z. B. Fevarin®, Fluvoxamin-neuraxpharm®, Fluvoxamin-ratiopharm® ,
- Paroxetin, z. B. Paroxalon®, Paroxetin beta®, Seroxat®,
- Sertralin, z. B. Sertralin beta®, Sertralin-neuraxpharm®, Zoloft®.
Im Allgemeinen werden SSRI gut vertragen. Die Therapie sollte einschleichend durchgeführt werden, d. h. es wird mit einer geringen Dosierung begonnen, die im Verlauf der Behandlung langsam gesteigert wird. Dadurch können die zu Beginn der Behandlung auftretenden Nebenwirkungen wie Unruhe, Nervosität, Schlaflosigkeit und vorübergehende Zunahme der Angstsymptomatik gemildert oder sogar vermieden werden. Eine weitere Möglichkeit, die anfänglichen Nebenwirkungen aufzufangen, ist die vorübergehende Gabe eines Benzodiazepins. Um nächtliche Unruhezustände und Schlaflosigkeit zu Beginn der Behandlung zu vermeiden, sollten die Medikamente morgens eingenommen werden. Der angstlösende Effekt der SSRI tritt meist nach 2 bis 4 Wochen ein.
Selektive Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSNRI)
In Deutschland zugelassene Wirkstoffe, die sich bei der Behandlung von Angststörungen als sehr gut wirksam erwiesen haben, sind u. a.:
- Venlafaxin, z. B. Trevilor® retard, Venlafaxin beta®, Venlafaxin Hennig®,
- Duloxetin, z. B. CYMBALTA®.
Venlafaxin wirkt besonders gut gegen psychischen Angstsymptome. Zu Beginn der Behandlung können Nebenwirkungen wie Unruhe, Schlafstörungen und Übelkeit auftreten. Die angstlösende Wirkung tritt, ähnlich wie bei den SSRI, innerhalb von 2 bis 4 Wochen ein. Duloxetin hat sich insbesondere in der Behandlung der generalisierten Angststörung bewährt, sowohl in der Akut- als auch in der Erhaltungstherapie. Die hauptsächliche Nebenwirkung ist Übelkeit, die allerdings nur zu Beginn der Behandlung auftritt und selten zum Abbruch der Einnahme führt. Der Wirkstoff wirkt besonders gut auf Schmerzsymptome, die bei der generalisierten Angststörung nicht selten im Vordergrund steht und viele Betroffene veranlassen, einen Arzt zu konsultieren.
Trizyklische Antidepressiva (TZA)
Auch TZA entfalten ihre angstlösende Wirkung durch eine Wiederaufnahmehemmung von Serotonin und Noradrenalin. Dazu ist jedoch bei der Behandlung von Angststörungen eine Dosierung erforderlich, die mit sog. anticholinergen Nebenwirkungen verbunden ist: Mundtrockenheit, Verstopfung, Blutdruckabfall, Herzrasen, Sedierung oder auch psychomotorischen Störungen. TZA treten aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils immer mehr in den Hintergrund bei der Behandlung von Angststörungen, sodass die Medikamente heutzutage als „Mittel der dritten Wahl“ angesehen werden und stattdessen moderne Antidepressiva – SSRI und SSNRI – vorrangig verordnet werden. Zu den in Deutschland zugelassenen TZA-Wirkstoffen gehören u. a.:
- Amitriptylin, z. B. Amioxid-neuraxpharm®, Saroten®, Syneudon®,
- Clomipramin, z. B. Anafranil®, Clomipramin-neuraxpharm®, Clomipramin-ratiopharm®,
- Doxepin, z. B. Aponal®, Doxepin-neuraxpharm®, Doxepin-ratiopharm®, Mareen®,
- Opipramol, z. B. Opipram®, Opipramol beta®, Opipramol-neuraxpharm®,
- Trimipramin, z. B. Herphonal®, Stangyl®, Trimipramin-ratiopharm®,
- Nortriptylinhydrochlorid, z. B. Nortrilen®.
Antipsychotika
Zu den Antipsychotika gehören Psychopharmaka, die eine sedierende und den Realitätsverlust bekämpfende (= antipsychotische) Wirkung haben (vgl.: psychotisch). Die früher als Neuroleptika bezeichneten Arzneistoffe werden heutzutage nicht nur zur Behandlung von Halluzinationen und Wahnvorstellungen bei Schizophrenien verordnet (vgl. Schizophrenie Symptome), sondern gelegentlich auch als Beruhigungsmittel bei Depressionen, Zwangserkrankungen und der generalisierten Angststörung, wozu meist bereits geringe Dosierungen ausreichend sind. Hierzulande dürfte die Verordnungshäufigkeit bei Angsterkrankungen aufgrund des Nebenwirkungsprofils der Antipsychotika jedoch zur Ausnahme gehören und Sonderfällen vorbehalten sein.
Antikonvulsiva
Als Antikonvulsivum bezeichnet man ein Arzneimittel, das primär zur Behandlung von Krampfanfällen geeignet ist. Verschiedene Antikonvulsiva können jedoch auch bei Erkrankungen eingesetzt werden, die mit Krampfanfällen nichts zu tun haben. So wird Topiramat zur Migräneprophylaxe verordnet und Phenytoin zur Behandlung von Herzrhythmusstörungen. Bei der Behandlung von generalisierter Angststörung und sozialer Phobie (siehe Sozialangst) hat sich das Antikonvulsivum Pregabalin bewährt, das in Deutschland unter dem Namen Lyrica auf dem Markt ist. Es wirkt gut gegen körperliche und psychische Angstsymptome und hat eine positive Wirkung auf Schlafstörungen. Nebenwirkungen wie Schwindel und Sedierung können umgangen werden, wenn die Dosierung zu Beginn der Behandlung zunächst gering gehalten und sie dann langsam gesteigert wird.