Erfahrungen zu Valdoxan und Agomelatin im Blickpunkt
Valdoxan ist ein Arzneimittel, das als Wirkstoff 25 Milligramm Agomelatin je Filmtablette enthält und gegen „Major Depression“, also gegen Depressionen und depressive Verstimmungen verschrieben wird. Valdoxan wird vom zweitgrößten französischen Pharmahersteller Les Laboratoires Servier (Servier) hergestellt. Das Arzneimittel wurde 2009 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) im zweiten Anlauf zugelassen, nachdem der Erstantrag des Herstellers Servier 2006 abgelehnt wurde (Wiki).
Der Wirkstoff Agomelatin gehört zur Gruppe der 5HT2C-Antagonisten mit melatonerger Wirkung. Das bedeutet, dass der Arzneiwirkstoff Serotonin-Rezeptoren 5HT2C im Gehirn besetzen kann und sich die gewünschte Erhöhung der Konzentration des Neurotransmitters Serotonin bei der Signalübertragung einstellt. Weil Agomelatin gleichzeitig aber auch als Agonist, also Stimulierer der Melatonin-Rezeptoren MT1 und MT2 wirkt, wird die Wirksamkeit des „Schlafhormons“ Melatonin gefördert, so dass auch ein gesunder Schlaf mit gesundem Schlafrhythmus unterstützt wird.
Die Wirkung bzw. Wirksamkeit von Valdoxan als Antidepressivum beruht auf der Annahme, dass Depressionen und depressive Verstimmungen unter anderem auf einem Mangel an den Monoaminen Serotonin, Dopamin und Noradrenalin bei der Signalübertragung beruhen. Der Mangel kann durch eine unzureichende Synthese der Botenstoffe im Gehirn verursacht werden oder durch eine veränderte Expressivität der spezifischen Rezeptoren (flexikon.doccheck.com). Hier wirkt Agomelatin entgegen und verhilft dem „Glückshormon“ Serotonin tagsüber und dem Schlafhormon Melatonin nachts zu seinem Recht. Falls die individuelle Depression auf anderen Ursachen beruht, kann Agomelatin nur eingeschränkt wirksam sein. Siehe Erfahrungen weiter unten.
Agomelatin – woraus besteht der Arzneiwirkstoff und was sind seine Nebenwirkungen?
Die chemische Summenformel C15H17NO2 verrät uns, dass die Substanz ausschließlich aus den Elementen Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) besteht, die in der Atmosphäre in nahezu unbegrenzter Menge zur Verfügung stehen. Der Stoff ist strukturell dem Melatonin sehr ähnlich, und weil es auch über Melatonin-Rezeptoren als Agonist für Melatonin wirkt, erschließt sich, warum das französische Pharmaunternehmen Servier der Substanz den Namen Agomelatin zugedacht hat. Agomelatin ist ein funktionelles Analogon von Melatonin.
Beide Substanzen weisen ein aromatisches Molekülgerüst auf. Der heterozyklische Pyrrolring des Melatonins wird bei Agomelatin durch einen Benzolring ersetzt. Der Arzneiwirkstoff Agomelatin kann in einem chemischen Verfahren in mehreren Stufen aus Naphthalin gewonnen werden. Der Hersteller hat hierzu im Jahr 2010 mehrere Verfahrenspatente vorgelegt (Wiki).
Wie wirkt Agomelatin im Körperstoffwechsel
Eingangs wurde die stimulierende (agonistische) Wirkung von Agomelatin auf die Melatonin-Rezeptoren MT1 und MT2 erwähnt, die ausschließlich in einer sehr kleinen Region in der Hirnanhangdrüse, dem Hypothalamus, vorkommen und eine wichtige Rolle bei der Steuerung des zirkadianen Rhythmus (Tag-Nacht-Rhythmus) spielen. Gleichzeitig wirkt Agomelatin hemmend (antagonistisch) auf die Serotonin-Rezeptoren 5HT2C, die ausschließlich im Zentralnervensystem vorkommen. Die hemmende Wirkung an den 5HT2C-Rezeptoren kommt dadurch zustande, dass der Arzneiwirkstoff bei der Besetzung der Rezeptoren sozusagen in gleichberechtigter Konkurrenz zu Serotonin steht, so dass die unmittelbare Wirkung des Serotonins im Gehirn eingedämmt wird, was beim Zubettgehen die Einschlafphase unterstützt. Es ist daher angezeigt, dass das Medikament Valdoxan abends vor dem Zubettgehen eingenommen wird, um das Einschlafen zu unterstützen (vgl. den Artikel Schneller einschlafen).
Bei Dunkelheit, wenn keine Lichtsignale mehr empfangen werden, wird normalerweise das „Taghormon“ Serotonin, auch als Glückshormon bezeichnet, abgebaut und in Melatonin umgewandelt. Lichteinfall in unserem zirkadianen Taktgeber unterbricht die Umwandlung und baut das Melatonin wieder ab, so dass die Müdigkeit durch einen Wachzustand abgelöst wird. Unser zirkadianer Taktgeber verfügt deshalb über eine Nervenverbindung mit unserem Sehzentrum. Das ist beispielsweise der Grund dafür, dass bei langen Nachtflügen ab etwa einer Stunde vor der Landung das Cockpit hell erleuchtet wird. Falls tagsüber Schlaf nachgeholt werden muss, ist es nicht nur wichtig, das Gehirn vor Geräuschen zu schützen, sondern auch, die Augen vor Lichteinfall zu bewahren, um die körpereigene Serotonin-Produktion nicht anzukurbeln.
Was hat eine Depression mit zirkadianer Rhythmusstörung zu tun?
Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München hat den Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und Depressionen im Schlaflabor untersucht. Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Depressionen häufig mit massiven Schlafstörungen gekoppelt sind. Wie die Forscher herausgefunden haben, können Depressionen die Schlafstörungen verursachen oder länger andauernde Schlafstörungen können ihrerseits Depressionen verursachen. Schlafstörungen können deshalb entweder Symptom oder Risikofaktor einer Depression sein (mpg.de/10784189/depression-und-schlaf).
Ein gesunder und erholsamer Schlaf zeichnet sich dadurch aus, dass sich die sogenannten REM-Phasen (rapid eye movement), also Schlafphasen mit schnellen Augenbewegungen mit Tiefschlafphasen (Non-REM-Phasen) in einem etwa 90-minütigen Rhythmus ablösen. Regelmäßige Schichtarbeit oder häufige Reisen über mehrere Zeitzonen hinweg und viele andere Ursachen können den Schlafrhythmus empfindlich stören. Typische Symptome für einen gestörten Schlafrhythmus sind:
- Verzögertes Schlafphasensyndrom: sehr spätes zu Bett gehen, Tagesmüdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten
- Vorverlagertes Schlafphasensyndrom: früh zu Bett gehen, frühes Aufstehen
- Non-24-h-Schlaf-Wach-Syndrom: verzögerte Einschlaf- und Aufwachphasen
Der Arzneiwirkstoff Agomelatin kann in seiner Doppelfunktion als Agonist für das Schlafhormon Melatonin und als Antagonist der Serotonin-Rezeptoren entweder die symptomatischen Schlafphasenstörungen günstig beeinflussen oder auch als Ursachenbekämpfer einer Depression agieren, falls die Depression durch die Schlafrhythmusstörungen ausgelöst wurde.
Warum wird Valdoxan bei Depressionen verschrieben?
Der Hypothalamus, der über den Hypophysenstiel direkt mit der Hypophyse, der Hirnanhangdrüse verbunden ist, fungiert als chemische Zentrale für die Produktion einer Gruppe von Hormonen, mit denen die unbewusst ablaufenden Vitalfunktionen wie Atmung, Blutdruck, Herzfrequenz und viele andere gesteuert werden.
In einem winzigen Areal des Hypothalamus unmittelbar oberhalb der Sehnervenkreuzung befindet sich der Nervenknoten Nucleus suprachiasmaticus, der als unser wichtigster Taktgeber für unseren Tag-Nachtrhythmus gilt. Es geht dabei nicht nur um Schlaf oder Wachsein, sondern um viele Körperfunktionen, die einem typischen Tagesrhythmus, also einem zirkadianen Rhythmus unterliegen.
Der Taktgeber – die innere Uhr – verfügt über die Fähigkeit, über eigenständig oszillierende Neuronen selbständig einen zirkadianen Rhythmus zu bestimmen. Allerdings kann die innere Uhr besonders über Lichteinfall auch nachjustiert werden, so dass Anpassungen an andere Zeitzonen sowie Anpassungen an die Jahreszeiten möglich sind (de.wikipedia.org/wiki/Nucleus_suprachiasmaticus).
Hier liegt aber auch gleichzeitig die Crux, wenn es beispielsweise hilfreich wäre, dass sich bei Schichtarbeitern oder bei Personal, das häufig die Zeitzonen wechseln muss (Flugreisen in Ost-West oder in West-Ost-Richtung) die innere Uhr schnell anpassen würde. Das Konzept einer Schnellanpassung kann durch Lichteinfall während der gewünschten Schlafphase stark gestört werden. Der Taktgeber erhält nämlich über eine optische Faser, die mit der Netzhaut verbunden ist, die gleichen Lichtimpulse wie die Netzhaut und veranlasst die entsprechende Produktion von Taghormonen. Vor allem kommt es zur Ausschüttung von Serotonin und zum Abbau des Schlafhormons Melatonin.
Auch bei Menschen mit Depressionen, die keine Schichtarbeit leisten müssen und nicht häufig Zeitzonen wechseln, kann die innere Uhr als Symptom oder als Ursache der Depression aus dem Takt geraten. Valdoxan kann in diesen Fällen einen guten Beitrag zur Wiederherstellung eines „normalen“ zirkadianen Rhythmus leisten. Die Blockadewirkung an den 5HT2C-Rezeptoren führt indirekt zu einer Erhöhung der Konzentration von Noradrenalin und Dopamin, was zusätzlich eine antidepressive Wirkung erzeugt (de.wikipedia.org/wiki/Agomelatin#Klinische_Prüfung).
Kontraindikationen und Nebenwirkungen von Valdoxan
Das Medikament wird insgesamt gut vertragen. Allgemeine Nebenwirkungen liegen in etwa auf dem gleichen Niveau wie Placebos, die in den diversen Arzneimittelstudien an die Kontrollgruppen verabreicht werden. Aufgrund festgestellter Wechselwirkungen sollte Valdoxan nicht zusammen mit dem Antidepressivum Fluvoxamin und dem Antibiotikum Ciprofloxacin eingenommen werden.
Als seltene Nebenwirkung kann bei bis zu einem Patienten von 1.000 ein schwerer Hautausschlag auftreten. Ebenso selten kann als gravierende Nebenwirkung eine schwere Leberfunktionsstörung auftreten. Deshalb empfiehlt der Hersteller vor Beginn der Behandlung die Leberwerte zu kontrollieren. Bei einer erkennbaren Einschränkung der Leberfunktion vor Beginn der Behandlung stellt eine strikte Kontraindikation dar. Valdoxan darf dann nicht eingenommen werden.
Zusätzlich zur Leberfunktionsuntersuchung vor Beginn der Behandlung sollte die Untersuchung während der Behandlung nach 3, 6,12 und 24 Wochen sicherheitshalber wiederholt werden. Unabhängig von den Untersuchungsergebnissen sollten die Patienten auf folgende Symptome achten, die auf eine eingeschränkte Leberfunktion hindeuten können:
- ungewöhnlich dunkler, fast brauner Urin
- hell (fast grau) gefärbter Stuhl
- gelbliche Haut und gelbe Augen
- Schmerzen im rechten Oberbauch
- ungewöhnliche Erschöpfung
Falls eines der oben aufgelisteten Symptome beobachtet wird, sollte dringend ein Arzt konsultiert werden, weil das Medikament möglicherweise sofort abgesetzt werden muss (patienteninfo-service.de/a-z-liste/uv/valdoxanR-25-mg-filmtabletten/).
Wie wird Valdoxan eingenommen?
Valdoxan wird in Form von Filmtabletten verabreicht. Jede Tablette enthält zu Wirkung 25 Milligramm des Wirkstoffs Agomelatin. Das entspricht der vom Hersteller empfohlenen normalen Tagesdosis. Da der Wirkstoff über seine melatonergen Eigenschaften auch schlaffördernd wirkt, empfiehlt sich die Einnahme jeweils einer Tablette am Abend vor dem Zubettgehen. Die Tagesdosis kann vom Arzt in Einzelfällen auf 50 Milligramm heraufgesetzt werden. Es können dann vor dem Zubettgehen 2 Filmtabletten mit ein wenig Wasser eingenommen werden. Prinzipiell kann Valdoxan unabhängig von den Mahlzeiten eingenommen werden.
Generika
Das Medikament Valdoxan mit Agomelatin als Arzneiwirkstoff erhielt am 19.02.2009 die Zulassung für der EU angehörende Länder. Da die Arzneimittelpatente in der Regel nach 10 Jahren ablaufen, ist mit Generika ab März 2019 zu rechnen. Generika enthalten den gleichen Wirkstoff in der gleichen Menge wie das originale Arzneimittel. Das herstellerunabhängige Arznei-Telegramm berichtete am 15. März 2019, dass mehr als ein Dutzend Generika als Ersatz für Valdoxan auf den Markt gekommen seien. Die Autoren des Arznei-Telegramms sehen das mit Sorge, weil sie befürchten, dass es dadurch zu einer vermehrten Anwendung von Arzneimitteln mit Agomelatin kommt und auch die Leberschäden entsprechend zunehmen (arznei-telegramm.de/html/2019_03/1903031_03.html).